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Politik

Lasst uns über Lebensführung reden

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Jens Thurau
13. Juni 2019

Wer die grausamen Tötungen von männlichen Küken stoppen will, muss mehr Geld für Eier und Hühnerfleisch auf den Tisch legen. So einfach ist das, meint Jens Thurau.

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Frisch geschlüpfte Hühner-Küken
Bild: picture-alliance/dpa/A. Kondratuk

Die Deutschen geben viel Geld für Urlaube aus und sie fahren teure Autos - noch jedenfalls. Sie müssen immer mehr Geld dafür aufwenden, zu wohnen - vor allem in den Städten. Und sie geben gerade einmal zehn Prozent ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel aus. Na klar, es gibt den Trend vor allem unter immer mehr jungen Menschen, vegetarisch oder gar vegan zu leben. Aber in ihrer breiten Mehrheit sind die Deutschen Vertilger von Massenware, die möglichst billig ist. Hochkonjunktur für die Discounter.   

Der Tierschutz im Grundgesetz spielt keine Rolle

Was hat das mit dem Urteil zum Töten von männlichen Hühnerküken zu tun? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass Brutbetriebe in Deutschland männliche Küken weiterhin kurz nach dem Schlüpfen töten dürfen. Auf grausame Art zumeist, von der die Deutschen lieber gar nichts genaueres wissen wollen. Über 45 Millionen Mal geschieht das pro Jahr. Massentierhaltung ist heute auf Effizienz getrimmt, auf maximalen Profit. Klar, zum Eierlegen braucht man nur weibliche Küken. Und auch das Brathähnchen ist immer ein Hühnchen, weil das mehr Fleisch ansetzt. Hühnerbrust eben. Eine Methode, das Geschlecht schon vor dem Schlüpfen zu bestimmen und das Ei gar nicht mehr auszubrüten, wenn ein männliches Küken drinsteckt, ist zwar entwickelt, steht aber noch nicht flächendeckend zur Verfügung. Und so lange wird weiter geschreddert.

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Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Schon seit vielen Jahren steht der Tierschutz im Grundgesetz, aber in der Realität spielt er oft keine Rolle. Die Richter formulieren das so: Wirtschaftliches Interesse und Tierschutz seien grundsätzlich zwei verschiedene Sachen, und der Wunsch nach Profit dürfe das Grundrecht auf Schutz auch für Tiere eigentlich nicht außer Kraft setzen. Aber in der Praxis sei das eben doch jahrzehntelang genau so hingenommen worden. Jetzt in aller Eile die Betriebe zur Umstellung zu zwingen, würde sie überfordern. Und viele wohl in den Ruin treiben.

So ist das beim Tierschutz in der Massengesellschaft, die immer schneller kreist und vor allem auf Konsum basiert, auf schnellen und billigen Konsum. Es ist wie beim Klimaschutz: Natürlich mindern saubere Autos die Treibhausgase, aber die Zukunft liegt wohl dann doch in einer ganz neuen, elektrischen, intelligenten, digital gesteuerten Mobilität ganz ohne private Fahrzeuge. Und wer das Massentöten von Küken verhindern will, muss eben sehr viel mehr Geld für Bio-Eier ausgeben - und für gutes Bio-Fleisch und und und...

Es kann nicht weitergehen wie bisher

Umwelt und Naturschutzthemen sind am Ende immer auch Themen des Konsums, der Lebensführung jeder und jedes Einzelnen. Lange haben Politiker und Unternehmer den Menschen in vielen wohlhabenden Staaten suggeriert, es ginge eigentlich alles so weiter wie bisher - nur etwas softer. Tut es aber nicht. Und wenn die Politiker anfangen, daraus die Konsequenzen zu ziehen (in diesem Fall: Das Schreddern zu verbieten), dann müssten sie den Menschen auch die Rechnung präsentieren. Und das traut sich keiner.

Mehr denn je ist es deshalb an der Zeit, offen darüber zu reden, welche Zumutungen die Menschen der Umwelt, der Natur und den Tieren noch auferlegen. Ob eine andere Lebensführung nicht doch der Ausweg ist. Eine schwierige Debatte, vor allem in Zeiten von Populismus und Vereinfachung. Aber eine dringend notwendige.