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Politik

Lehrer Putin: Setzen, sechs!

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Juri Rescheto
2. September 2017

Russlands Präsident Wladimir Putin zeigt sich ein halbes Jahr vor den Wahlen wieder einmal volksnah. Diesmal als Schullehrer im Fach "Russlands Zukunft". Eine gescheiterte Annäherung an die Jugend, meint Juri Rescheto.

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Karikatur | Lehrstunden mit Putin in einer russischen Schule.
Bild: DW/S. Elkin

Mathe fand ich doof, war aber gut darin. Russisch fand ich super, schwänzte aber den Unterricht. Es lag an meinen Lehrern. Die waren wichtiger als die Fächer. Ihr Charisma. Ihre Begeisterung. Ihre Authentizität. Nichts davon verstrahlte Wladimir Wladimirowitsch Putin als Lehrer in der russischen Provinzstadt Jaroslawl. An der Schultafel bzw. auf der LED-erleuchteten grellen Hightech-Showbühne wirkte er trocken, bieder, konservativ.

Wie schon bei seiner allrussischen TV-Frage-Show für Jugendliche, die der allrussische Präsident im Anschluss an seine allrussische TV-Frage-Show für Erwachsene im Juli absolvierte, ging es jetzt im September, am allrussischen Tag des Wissens, darum, bei den ganz Jungen zu punkten, bei den Schülern. Es ging daneben.

Politisierte Jugend

Der Wunsch des Kremls, sich direkt an die Jugend zu wenden, wurde vermutlich nach den Protesten im März geboren. Deren handelnde Personen waren zwischen vierzehn und sechzehn Jahre alt. Das Internet war voll von Berichten über Festnahmen von Schülern. Und von den anschließenden Einschüchterungsversuchen ihrer Lehrer. Die Großen forderten Gehorsamkeit. Die Kleinen filmten sie dabei. Heimlich. Mit Smartphones. Unter dem Tisch. Und stellten ihre Videos ins Internet.

In Brjansk etwa, wo ein Direktor seine Schüler für die Verbreitung der Anti-Korruptions-Doku des Oppositionspolitikers Nawalny laut ausschimpfte. In Tomsk, wo ein Lehrer seine Schüler Faschisten und Knechte der Angelsachsen nannte, weil sie es wagten, die Regierung zu kritisieren. Die Videos machten die Runde. Das Land sprach davon. Und jeder wusste, die Kleinen sind gar nicht blöde. Die sind politisiert.

Der Kreml machte sich Sorgen. Aber ihm fiel wohl nichts ein. Außer der oben erwähnten TV-Frage-Show für Jugendliche und jetzt eben der Idee, den alternden Präsidenten eines alternden Landes an die Schultafel in der Provinz zu stellen und seinen Unterricht im ganzen Land zu übertragen. Diesmal war es also kein Putin-Jäger und kein Putin-Judokämpfer, kein Putin-Angler und kein Putin-Taucher. Diesmal war es Putin-Lehrer. Wie originell!

Dinosaurier Putin

Doch was als Clou gedacht war, wurde zum Flop. Das Image eines klugen Mannes, der die Heranwachsenden mit seiner Lebenserfahrung begeistert, verblasste wie schon bei der TV-Frage-Show für Jugendliche im Juli auch diesmal minütlich.

Denn wenn Wladimir Putin zu Kindern spricht, grüßt stets die Vergangenheit. Jemand, der sich Filme auf Videokassetten anschaut, keine sozialen Medien benutzt und nicht weiß, was der Unterschied zwischen einem Nickname und einem Pseudonym ist, wirkt auf Kinder wie ein Dinosaurier. Jemand, der nicht versteht, dass das Internet das Leben ergänzt und nicht ersetzt, kann keine Zukunft verkörpern.

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Juri Rescheto leitet das DW-Studio in Moskau

Wladimir Putin bemüht gern Kriegsrhetorik. Er spricht von Konsolidierung der Nation und der Notwenigkeit, seine Heimat zu verteidigen, ja für die Heimat zu sterben. Er vergisst aber dabei, dass er Kinder vor sich hat und keine Soldaten. Diejenigen, die gerade durch ihre Individualität einen besonderen Wert für dieses Land darstellen. Die nicht fürs Vaterland sterben, sondern von eben diesem Vaterland gefördert werden sollen.

Wladimir Putin kommt ins Schwärmen, wenn er von den Errungenschaften seiner alten Heimat, der Sowjetunion, spricht: der Baikal-Amur-Eisenbahnmagistrale, der Raumstation Mir, dem Atomkraftwerk Obninsk und anderen Dingen. Immerhin räumt er ein, wie wichtig für Russland Zukunftstechnologien sind. Aktuelle Beispiele aber? Fehlanzeige! Selbst die immer wieder angesprochenen Weltraumerfolge sind von gestern und vorgestern.

Und schließlich: Wladimir Putin bleibt verschlossen. Er will sich zwar gerade bei solchen Anlässen als Mensch und nicht als Staatsmann zeigen, ist aber nicht bereit, sich emotional zu öffnen. Dozieren statt zuhören. Frontalunterricht statt Dialog. Autorität statt Charisma. Trotz seines Lächelns.

Und die Schüler? Sie sollen Putins wichtigstes Fach, Vaterlandsliebe, den in Russland viel beschworenen Patriotismus, mögen. Ich hätte diesen Unterricht lieber geschwänzt.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga