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Türkei im Konflikt mit Syrien

Baha Güngör5. Oktober 2012

Gegenüber Syrien muss Türkei auf dem Pfad der Vernunft bleiben, meint Baha Güngör. Allerdings bleiben in dem Syrien-Konflikt Russland und Iran weiterhin unbekannte Variablen.

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Nicht anders als die in der jüngeren Geschichte gestürzten arabischen Tyrannen verhält sich Syriens Regime-Chef Baschar al-Assad. Seine Zuckungen im Todeskampf werden immer wilder und seine Selbsttötung auf Raten schreitet voran. Die in dem türkischen Grenzort Akcakale explodierte Granate, die unschuldige Menschen in den Tod gerissen hat, ist nichts anderes als der Versuch Assads, einen starken Nachbarn zu provozieren und in der Region verbrannte Erde zu hinterlassen, wenn er nicht mehr als Staatschef existiert.

Die Türkei hat angemessen reagiert, militärische Vergeltung geübt, ohne jedoch syrisches Territorium zu besetzen. Doch muss die Türkei auf dem Pfad der Vernunft bleiben. Auf keinen Fall darf sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan - beflügelt von internationaler Unterstützung und Beistandsbekundungen - dazu verleiten lassen, von sich aus gegen Syrien weitere militärische Aktionen zu starten. Die vom Parlament beschlossene Ermächtigung zum militärischen Vorgehen gegen aggressive Nachbarstaaten ohne namentliche Beschränkung auf Syrien ist kein Freibrief für das NATO-Land, eigenmächtig zu handeln und das westliche Bündnis ebenso wie die europäischen Partner vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die deutlichen Botschaften der türkischen Bevölkerung gegen den Krieg mit Syrien nach dem Parlamentsbeschluss zeigen zudem klar, dass Erdogan innenpolitisch vorsichtig agieren muss.

Je geringer die Hoffnung wird, Assad werde freiwillig abdanken und sich möglicherweise nach Moskau absetzen, desto besonnener muss vor allem die Türkei vorgehen. Das Projekt des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu, unter dem sehr ambitionierten Titel "Null Probleme mit allen Nachbarn", dürfte derweil als gescheitert zu den Akten gelegt werden. Vielmehr hat die Türkei kaum noch Nachbarn, mit denen sie keine Probleme hat. Die Unterstützung des Westens ist vorerst nur auf den Konflikt mit Syrien begrenzt und würde in der klaren Form nicht eintreten, wenn es beispielsweise um Armenien, Griechenland oder Bulgarien gehen würde.

Unbekannte Variablen mit unvorhersehbaren Reaktionen bleiben der Iran und die Supermacht Russland. Noch unterstützt der Kreml zwar Baschar al-Assad. Doch wird der russische Herrscher Vladimir Putin sehr genau überlegen, ob es sich noch lohnt, sich für einen untergehenden Diktator weiterhin zu engagieren und so andere wichtige Partner in der Region zu verunsichern. Wenn es um die Türkei geht, wird sich auch der Iran auf die heftige verbale Kritik an Ankara beschränken und keine militärischen Abenteuer im Alleingang wagen.

Russland - und auch der Iran -  verfügen über andere "Waffen" gegen die Türkei, falls sich das Land doch nicht vernünftig verhält: Erdgas! Der Winter steht bevor und eine deutliche Schwächung der Lieferung von Erdgas aus Russland oder auch anderer natürlicher Ressourcen aus dem Iran würden die prosperierende wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei schmerzhaft stoppen. Dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, wann sich die Türkei wieder vom jetzigen "starken Mann am Bosporus" zu einem "kranken Mann" zurückentwickelt.

Und das ist bestimmt weder im europäischen, noch im Interesse der USA oder der NATO. Deshalb wäre Erdogan gut beraten, von allen Alleingängen gegen Syrien abzusehen und nur im Reigen mit dem Westen sowie mit den Vereinten Nationen zu handeln. Eine militärische Vergeltung bei Übergriffen, wie im jüngsten Fall, oder die aktive Unterstützung der syrischen Opposition muss vorerst genügen, damit der drohende Flächenbrand nicht ausgerechnet von der Türkei ausgelöst wird.