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Politik

Miete sparen in der Corona-Krise

Kommentarbild Dijana Roscic
Dijana Roscic
1. April 2020

In der Corona-Krise zeigen Großkonzerne ihre wahre Gesinnung: H&M, Deichmann, Galeria Karstadt Kaufhof und Puma wollen die Mieten für ihre Filialen aussetzen. Verbraucher reagieren zu Recht empört, meint Dijana Roscic.

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Kaufhof und Karstadt
Bild: Reuters/I. Fassbender

Für einen eindrucksvollen Beleg, wie sehr Corona unser Leben verändert hat, genügt ein Blick in die verwaisten Einkaufsstraßen: Leere statt des üblichen Gedränges in den Zentren unserer Städte.

Nur noch Dinge des täglichen Bedarfs können gekauft werden. Kleidung, Elektrogeräte, Schuhe oder Schmuck gehören nicht dazu, weshalb alle entsprechenden Läden vor zwei Wochen schließen mussten. Das gehörte zu den ersten Maßnahmen der 16 deutschen Landesregierungen, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und damit Menschenleben zu retten.

Historisches Hilfspaket

Unmittelbar darauf folgte das schon jetzt historisch große Paket an Finanzhilfen für die betroffenen Unternehmen und Selbstständigen. Kein Bürger soll durch die Krise unverschuldet in Not geraten, hat die Bundesregierung versprochen. Und so hat sie unter anderem beschlossen, für die kommenden drei Monate das Kündigungsrecht von Vermietern bei ausbleibender Mietzahlung auszusetzen. Das gilt sowohl für Gewerbeflächen als auch für Privatwohnungen.

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DW-Redakteurin Dijana RoscicBild: Privat

Die Tinte des Gesetzes war noch nicht trocken, da kündigten ausgerechnet Branchenriesen wie Adidas, Puma oder H&M an, dass sie ab April die Miete samt Nebenkosten ihrer Filialen aussetzen werden. Gerry Weber und C&A überlegen ähnliche Schritte. Der Kaufhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof will sich sogar vorbehalten, die schon gezahlte März-Miete mindestens zur Hälfte zurückzufordern. Und Deichmann, Europas größter Schuhhändler, erwartet von den politisch Verantwortlichen, "dass die durch die Zwangsschließungen entstehenden Mietschäden für die beteiligten Vertragsparteien ersetzt werden." Mit anderen Worten: Die Vermieter sollen ihr Geld bekommen. Aber nicht von Deichmann, sondern vom Staat!

Bei Vermietern stieß das "einseitige" Vorgehen der Konzerne auf scharfe Kritik. "Überrascht, dass es so schnell und heftig kommt" und "wenig partnerschaftlich" war von Vertretern der Immobilienbesitzer zu hören. Ja, sogar vom "Ende des Immobilienmarkts" war sofort die Rede.

Enttäuschte Politiker

Die Politik reagierte empört und enttäuscht auf das Vorgehen der Konzerne. Und in den Sozialen Medien verbreiten sich Aufrufe zum Boykott von Adidas & Co. Menschen versehen ihre Profile mit kritisch bearbeiteten Logos oder Namen der bisher beliebten Marken.

Das zeigte zumindest im Fall von Adidas inzwischen Wirkung. Zunächst wies der Konzern zu Beginn der Woche darauf hin, dass seine Vermieter, "große Immobilienverwalter und Versicherungsfonds, überwiegend Verständnis gezeigt haben". Die Privatvermieter, nur vier an der Zahl, bekämen hingegen "ihre April-Miete wie gewohnt." Am Mittwoch dann eine förmliche Entschuldigung: Man habe einen Fehler gemacht und Vertrauen verspielt, alle April-Mieten seien bereits bezahlt.

Partner im Wunsch nach Staatshilfe

Alle anderen bleiben bis auf weiteres bei ihrem Kurs: Dabei muss man sich klar vor Augen halten, dass hier Mieter und Vermieter letztlich gemeinsam auf Staatshilfe aufgrund eines schnell formulierten Gesetzes in Ausnahmezeiten schielen: Auf der einen Seite sind es vor allem international agierende Konzerne vor allem aus der Textilbranche mit jährlichen Milliarden-Gewinnen. Auf der anderen Seite Immobilien-Riesen mit ebenfalls komfortabler Ertragssituation, denen in der Regel großflächige Premium-Adressen in bester Lage gehören.

Beide Seiten sind Partner, aber auch starke Lobbyisten, die mit ihren Experten in stark besetzten Rechtsabteilungen in der Vergangenheit sowohl das Arbeitsrecht, als auch das Miet- und Steuerrecht in Deutschland massiv beeinflusst haben. Mit wenigen Ausnahmen haben sie die kleinen und mittelständischen Firmen längst aus Einkaufsmeilen in den Zentren der Städte verdrängt.

Die Empörung müsste von Dauer sein

Viele von uns haben sich schon oft über die Textilbranche empört. Zum Beispiel über die zum Teil unerträglichen Arbeitsbedingungen in der immer weiter nach Osten auslagerten Produktion. Andere versuchen aus Umweltgründen weniger und nachhaltiger zu kaufen. Die Konzerne reagieren regelmäßig auf solches Kundenverhalten - justieren ein wenig nach und reden dann sehr laut darüber. Danach ist wieder Ruhe. Bis zur nächsten Empörungswelle. Warum ist das so? Die Branchenriesen wissen genau, dass die Emotionen nur kurze Zeit hochkochen. Weil es ja kaum noch echte Konkurrenz gibt, die wirklich anders wäre.

Jetzt, in der Corona-Krise zeigt der eine oder andere Großkonzern seine wahre Gesinnung. Politik und Konsumenten sollten dies nicht vergessen und die Empörung anhalten. Auch dann, wenn die Beschränkungen wieder ausgesetzt werden und wir erneut fröhlich bummeln und einkaufen gehen können.

Und weil so oft vom Wandel die Rede ist, den die Corona-Krise auslösen wird: Ich jedenfalls würde urbane "Normalität" der Moderne - dass nämlich die Einkaufsmeilen quer durch Deutschland und ganz Europa fast überall identisch aussehen - nicht vermissen. Aber das bleibt wohl ein Traum. Eher geht nun auch noch den letzten inhabergeführten Geschäften in den Innenstädten der Metropolen die Luft aus.