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Mit Mut aus der Krise

21. April 2019

VfB-Sportvorstand Thomas Hitzlsperger muss den Scherbenhaufen in Stuttgart zusammenfegen. In der Krise zeigt er Stärke, meint DW-Redakteurin Olivia Gerstenberger. Aber nun geht er ein Risiko ein.

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Fußball Bundesliga 26. Spieltag VfB Stuttgart vs. Hoffenheim
Thomas Hitzlsperger spielete von 2005 bis 2010 beim Vfb Stuttgart. Seit Februar 2019 ist er Sportvorstand beim Vfb.Bild: imago/Eibner

Das Team zerstritten, die Fans erzürnt, der zweite Abstieg in drei Jahren vor Augen - nein, in der Haut von Thomas Hitzlsperger möchte man nicht stecken, nach dem historischen 0:6-Debakel gegen den FC Augsburg. Kampf- und mutlos untergegangen ausgerechnet gegen die bayerischen Schwaben, die "kleinen Schwaben". Eine Majestätsbeleidigung ist das für den "großen" VfB, der sich traditionell in ähnlichen Sphären sieht wie der Premium-Autohersteller der Stadt.

Nicht nur das Resultat an sich - die höchste Auswärtsniederlage des VfB in der Bundesligageschichte und die höchste persönliche für Trainer Markus Weinzierl - auch die Art und Weise, wie das Spiel gegen einen direkten Konkurrenten hergeschenkt wurde, ließen Sportvorstand Hitzlsperger keine andere Wahl als die unmittelbare Entlassung Weinzierls. Dessen Bilanz ist ähnlich desaströs wie der Auftritt seines Teams gegen den FCA: Vier Siege und 16 Punkte aus 23 Spielen, nur sieben in der Rückrunde, also insgesamt 0,7 Punkte pro Spiel – und das bei einem 160-Millionen-Kader. Die Bilanz eines Absteigers. 

Kontinuität: Fehlanzeige

Es ist bereits der zweite Trainerwechsel der Saison beim VfB: Weinzierl folgte im Oktober letzten Jahres auf Tayfun Korkut, der zuvor immerhin neun Monate im Amt gewesen war. Und auch hier offenbart sich die Krux der Stuttgarter: Seit Thomas Schneider 2014, also in den letzten fünf Jahren, gaben sich zehn Trainer die Klinke in die Hand - Huub Stevens übernahm zwischendurch gleich zweimal als Feuerwehrmann.

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Hitzlsperger agiert mit Mut und kühlem Kopf, kommentiert DW-Redakteurin Olivia Gerstenberger

Feuerwehrmänner gab es zu viele in den letzten Jahren, dazu kommt ein Abstieg 2016 und die üblichen Probleme scheinbar "großer" Vereine, die von der Realität eingeholt werden: Hoch bezahlte Altstars mit viel zu langen Verträgen, Überschätzung, Disziplinlosigkeit und eine Offensive, die das Tor nicht mehr trifft. Bei ausbleibenden Ergebnissen kommt dann die Unruhe im Umfeld: meckernde Altstars und Ex-Trainer, Streit im Aufsichtsrat und öffentlich unzufriedene Spieler. Das sind nicht nur Momentaufnahmen aus der aktuellen Saison, das Problem liegt tiefer. Neben Trainern geben sich seit Jahren auch Präsidenten und Sportvorstände die Klinke in die Hand. 

Auch Weinzierl gelang es nicht, den seit Jahren aus der Spur gekommenen Verein wieder zu stabilisieren. Hitzlsperger, seit Februar im Amt, hatte auf ihn gehofft und ihm den Rücken gestärkt – vor zwei Wochen sogar noch mit einer Jobgarantie bis zum Saisonende. Er wollte Kontinuität.

Dass er Weinzierl nun durch den Juniorentrainer Nico Willig ersetzt, zeigt zweierlei: die Erkenntnis, dass es zwischen Weinzierl und der Mannschaft einfach nicht mehr stimmt und es mit diesem Trainer nicht weitergehen kann – und den Mut, so kurz vor dem Saisonende auf einen völligen Neuling zu setzen. Er habe gespürt, wie dieser inhaltlich sehr gut arbeite und seine Mannschaft auf den Punkt hinbekomme. Das brauche die Mannschaft nun, so Hitzlsperger.

Feuerwehrmann aus den eigenen Reihen

Es ist ein Risiko, auf den "Noname" zu setzen. Natürlich kennt Willig die Abläufe im Verein, natürlich hat er nichts zu verlieren und er geht mit frischem Wind an die Sache. Aber ob er im Gegensatz zu seinen Bundesliga-erfahrenen Vorgängern das Ruder noch rumreißen kann? Mit nur 21 Punkten nach 30 Spieltagen, 19 Niederlagen, dazu 67 Gegentoren und nur 27 Toren steht Stuttgart vier Spieltage vor dem Saisonende so schlecht da wie noch nie - am Tiefpunkt. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen. Die vier Aufgaben bis zum Saisonende lauten Gladbach, Hertha, Wolfsburg und Schalke.

Hoffnung macht da ausgerechnet die Konkurrenz: Hannover und Nürnberg sind einfach noch schlechter. Und in der Relegation - darauf wird es für den VfB wohl hinauslaufen - hat sich in acht der letzten zehn Duelle der Bundesligist durchgesetzt. All das wird Hitzlsperger im Hinterkopf haben - und auch die finanzielle Situation: ordentlich aufgestellt und mit der Aussicht auf lukrative Verkäufe. Der französische Weltmeister Benjamin Pavard wechselt im Sommer für 35 Millionen Euro zum FC Bayern München.

Wenn es mit dem unbescholtenen Willig gelingt, die Klasse zu halten, kann Hitzlsperger in aller Ruhe und Besonnenheit einen Trainer installieren, der nicht immer nur Brände löschen muss. Den Kredit in den eigenen Reihen und bei den Fans hat er jedenfalls, er, der als ehemaliger VfB-Spieler noch 2007 selbst die Meisterschale hochreckte. Hitzlsperger geht mit Herz an die Sache. Aber auch mit ausreichend kühlem Kopf, um den Scherbenhaufen zusammenzufegen.