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Kommentar: Neue Männer statt Macho-Rituale!

Ulrike Mast-Kirschning 25. November 2005

Familiäre Gewalt ist für Europäerinnen zwischen 16 und 44 Jahren wahrscheinlicher als Krebs oder ein schwerer Verkehrsunfall. Der UN-Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November will daran erinnern.

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Als die 23-jährige Deutsch-Türkin Hatun Sürücü im Februar 2005 in Berlin auf offener Straße erschossen wurde - niedergestreckt vom eigenen Bruder, weil sie angeblich "zu deutsch" lebte - da waren die Menschen in Deutschland geschockt. Dabei waren in den Monaten zuvor bereits mindestens acht Frauen in Deutschland aus ähnlichen Motiven ermordet worden. Aus Gründen der "Ehre" waren
männliche Familienmitglieder zur Tat geschritten, weil sich die Frauen den patriarchalen, besitzergreifenden und erniedrigenden Verhältnissen in der eigenen Familie entziehen wollten. Sie wollten in Deutschland ihr Recht auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben nach hiesigem Verständnis verwirklichen.

Als in den französischen Vorstädten vor wenigen Wochen die ersten Autos in Brand gesetzt wurden, da waren die Franzosen und ihre europäischen Nachbarn ebenfalls geschockt. Dabei hatten französische Mädchen und Frauen aus nordafrikanischen Einwandererfamilien schon seit Jahren versucht, öffentlich auf die Gewalt aufmerksam zu machen, die sie von ihren männlichen Familienmitgliedern und Nachbarn in diesen Vierteln erleiden müssen.

Die Beispiele inner- und außerhalb Europas ließen sich fortsetzen. Weltweit wird laut Amnesty International eine von drei Frauen im Laufe ihres Lebens geschlagen, zum Geschlechtsverkehr gezwungen oder anderweitig missbraucht. Bei den Tätern handelt es sich in der Regel
um Familienmitglieder, um Nachbarn oder Bekannte.

Die Familie und ihr Umfeld - das ist die kleinste Gruppe, in der Konflikte, Krisen und Frustrationen bearbeitet und gelöst werden müssen. Im Zeitalter der Globalisierung prallen hier traditionelle Werte und Rollenbilder auf neue Anforderungen. Hier werden die Beziehungen zwischen den Geschlechtern gelebt und verhandelt. Wenn Männer sich angesichts wachsenden Identitätsverlustes und ökonomischen Drucks Selbstwertgefühl durch gewaltsame Machtdemonstrationen gegenüber dem "schwachen Geschlecht" verschaffen wollen, dann ist das nicht nur ein Rückfall, sondern auch ein Ausdruck von Orientierungslosigkeit.

Zwischen den Tagträumen vieler junger Männer und der Wirklichkeit wächst die Diskrepanz, warnt Christian Pfeiffer, deutscher Forscher für Jugendkriminalität, schon seit Jahren. In den Medien werde das Männerbild des sich mit Gewalt durchsetzenden Rambo-Kämpfers zelebriert und damit oft genug zum identitätsstiftenden Vorbild. In der Realität des zunehmend vernetzten Alltags und Berufslebens aber ist ein anderer Mann gefragt: Teamfähig und kommunikativ, mit der Fähigkeit zur Empathie, sowie der Bereitschaft, gegebenenfalls auch eine Frau als Vorgesetzte zu akzeptieren.

Wer aber im Kreislauf einer von "männlichen Spielregeln" bestimmten Welt aufgewachsen ist, der tut sich auch als Erwachsener schwer die Spielregeln zu ändern. Vor allem dann, wenn die gewünschte Betonung männlicher Überlegenheit angesichts anderer Realitäten längst ins
Wanken geraten ist.

Deshalb braucht es für den Kampf gegen Gewalt an Frauen neben den weltweit engagierten Frauen nicht nur konsequentes Handeln von Regierungen, Staatsanwälten und Richtern, sondern auch andere in der Gesellschaft propagierte und gelebte Leitbilder. Und es braucht vor allem eines: mehr Männer, die nicht versuchen, sich machtorientiert in überkommenem Männlichkeitswahn abzusichern, sondern offen und mutig, gefühlsbereit und kommunikativ, teamfähig und selbstbewusst andere und neue Männerbilder leben.