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Neue Visionäre braucht die Nachbarschaft!

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
16. Juni 2016

Vor 25 Jahren wurde der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet. Das Jubiläum fällt in eine politisch turbulente Zeit - und es fehlt an guten Ideen für eine lebendige Nachbarschaft, meint Rosalia Romaniec.

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Symbolbild Deutschland Polen EU
Bild: picture-alliance/dpa

Eine bewegte Nachbarschaft - auch im wörtlichen Sinne, wenn man an die jahrhundertelangen Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Polen denkt. Vor einem Vierteljahrhundert kam sie endlich in ruhige Gewässer. Mittlerweile ist klar: Der "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" hat das Leben von Polen und Deutschen verändert. Millionen junge Menschen konnten durch Jugendaustauschprogramme und Studienaufenthalte das Nachbarland kennenlernen: Wie gut, dass es so viele waren, die die Nachbarschaft mit Leben füllten. Ohne diesen Vertrag wäre Polen nicht so schnell in die NATO und die EU aufgenommen worden. Was also 1991 zwischen zwei Nachbarn verhandelt wurde, wirkte weit über deren Grenzen hinaus.

Ein Selbstläufer ist diese Freundschaft dennoch nicht, auch nicht nach 25 Jahren. Vor allem jetzt, wo es politisch zwischen Warschau und Berlin fröstelt, gelegentlich gar stürmt. Die maue Stimmung schlägt sich nicht nur bei den politischen Eliten nieder, sondern leider auch beim Volk. Neue Umfragen zeigen: Immer weniger Bürger in beiden Ländern glauben heute daran, dass das Verhältnis gut ist - beunruhigend!

Polen scheint unzufrieden

Es ist also Zeit zum Nachdenken. Neue Ideen sind gefragt, noch besser wären Visionen für die kommenden 25 Jahre. Was bisher zu hören ist, klingt eher bescheiden. Warschau betont pünktlich zum Jubiläum viel weniger, dass es künftig gemeinsam mit Berlin die Zusammenarbeit in Europa vertiefen will, als dass es an neuen Allianzen bastelt. Auch wenn Berlin und Warschau gleiche Ziele nennen - Sicherheit, Wohlstand, Frieden - schlagen sie immer öfter unterschiedliche Wege ein. Manchmal scheint dies weniger logisch - und viel mehr einfach trotzig.

Rosalia Romaniec ist Redaktionsleiterin der Abteilung Östliches Mitteleuropa
Rosalia Romaniec, Redaktionsleiterin Östliches MitteleuropaBild: DW

Außerdem kritisiert Polen (zurecht), dass sich Berlin nicht genug um die Rechte der in Deutschland lebenden Polen kümmere und damit den Vertrag nicht erfülle. Berlin versucht sich mit Reaktionen auf solche Vorwürfe zurückzuhalten - es lebe der deutsche Pragmatismus!

Der einzige Bereich, in dem es kaum Reibungen gibt, ist die Wirtschaft. Die deutsch-polnischen Geschäfte nähern sich mittlerweile der magischen Grenze von 100 Milliarden Euro an Handelsvolumen pro Jahr. Doch reichen Geschäfte, um eine gute Nachbarschaft auf Dauer zu erhalten? Um eine emotionsgeladene Nachbarschaft zu vertiefen, braucht man eigentlich mehr.

Fußball-Abend mit den Landsleuten

Jubiläen wie dieses sollte man nicht überbewerten. Trotzdem sucht man an solchen Tagen nach symbolischen Gesten. Diesmal sollten es gleich zwei Besuche beider Präsidenten sein - Andrzej Duda ist am Donnerstag in Berlin und Joachim Gauck am Freitag in Warschau. Dazwischen liegt ein wichtiger Abend - das EM-Gruppenspiel Deutschland gegen Polen. Duda und Gauck sehen es sich nicht gemeinsam auf der Leinwand an. Der polnische Gast verbringt den Abend in der deutschen Hauptstadt nicht mit den Gastgebern, sondern mit den in Berlin lebenden Polen. Es mag nur Zufall oder vielleicht auch die späte Spielzeit sein, die einem gemeinsamen Event im Wege stand. Doch es ist irgendwie schade um diese Symbolik - denn sie könnte positive Emotionen auslösen. Fußball verbindet. Aber vielleicht steht eine solche Pause auch für eine deutsch-polnische Normalität.

Nach 25 Jahren haben Deutsche und Polen Grund genug, um stolz zurückzublicken. Für die Zukunft gilt: Eine Alternative zu dieser Nachbarschaft gibt es für beide nicht, ganz egal, ob sich die Regierungen gut oder schlecht verstehen. Das weiß man in Warschau und Berlin ebenso gut, wie dass ein stolzes Erbe auch verpflichtet. Deshalb braucht man jetzt auf beiden Seiten der Grenze vor allem eins: Visionäre, die die Zukunft mit neuen Inhalten füllen.

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Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec