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IS-Propaganda im deutschen Fernsehen?

Sproeer Susanne Kommentarbild App
Susanne Spröer
7. November 2016

Ein Aufschrei der Empörung geht durch die deutsche Presse - in der Talkshow "Anne Will" war die vollverschleierte radikale Muslima Nora Illi zu Gast. War ihr Auftritt Werbung für den IS? Nein, meint Susanne Spröer.

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ARD-Talkshow "Anne Will" mit Nora Illi (Foto: picture alliance/dpa/NDR/W. Borrs)
Anne Will (l.) moderiert die Talkshow, die ihren Namen trägtBild: picture alliance/dpa/NDR/W. Borrs

Sonntagabend in Deutschland. Millionen Menschen sitzen um Punkt viertel nach acht vor dem Fernseher, um "Tatort" zu schauen: Eine Kult-Krimi-Reihe, die seit 46 Jahren im deutschen Fernsehen läuft. Orte und Ermittler wechseln, aber fast immer geht es um aktuelle gesellschaftliche Themen. Diesmal spielt der "Tatort" im norddeutschen Kiel, die Kommissare ermitteln in einem Mordfall. Vordergründig. Denn eigentlich erzählt der Film die Geschichte eines Mädchens, das in die Fänge radikaler Islamisten gerät und sich in Syrien dem IS anschließen will.

Auch diesmal diskutiert die anschließende Talkshow "Anne Will" (so heißt die Moderatorin) das Thema weiter. "Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?" ist die Leitfrage für die fünf Gäste. Diese sind Sascha Mané, dessen 18-jährige Tochter jetzt in Syrien ist, Imam Mohamed Taha Sabri aus Berlin, der Psychologe Ahmad Mansour (der als junger Mann selbst radikalisiert war), der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach - und eine Frau im tiefschwarzen Niqab, von der durch den engen Sehschlitz nur die Augen zu sehen sind: Nora Illi, vorgestellt als Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrates der Schweiz", einer dubiosen fundamentalistischen Institution, die keinerlei offizielle Vertretung der Schweizer Muslime darstellt. Nora Illis Mann, Quaasim, ebenfalls ein Schweizer Konvertit, ist übrigens Vorstandsmitglied und Pressesprecher.

Freiheit hinter dem Schleier?

Ein irritierendes Bild: Eine Gesprächsrunde, in der Menschen ihre Meinungen äußern und dabei auch Stücke ihrer Persönlichkeit preisgeben, hat einen Gast, der Mimik und Körpersprache hinter schwarzem Stoff versteckt. Mit manchmal wild gestikulierenden, knetenden und faltenden Händen erzählt die heute 32-Jährige, wie sie selbst als 18-Jährige zum Islam konvertierte und sich ein Jahr später vollverschleierte. Für sie bedeute das "Selbstbestimmung" und "Freiheit", sagt sie - schon das ist schwer vorstellbar. Aber es kommt noch heftiger: Als Anne Will sie fragt, was sie Eltern von IS-Ausreißerinnen rät, erzählt sie von einer jungen Frau, die wegen ihres Kopftuches keine Lehrstelle bekommen habe - und deshalb nach Syrien geflohen sei.

Susanne Spröer (Foto: DW)
Susanne Spröer leitet die Kulturredaktion Online

Auf der Homepage des "Islamischen Zentralrates des Schweiz" schreibt Illi, der Kampf gegen die Schergen Assads in Syrien müsse als "Zivilcourage hochgelobt" werden, auch wenn der Krieg eine "bitterharte Langzeitprüfung" sei, worüber sich junge Leute klar sein sollten. Als das in der Talkshow zitiert wird, platzt dem Psychologen Ahmed Mansour der Kragen: "Das ist Propaganda, so etwas kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen", ruft er. Über fünf Millionen Zuschauer sind live vor den Bildschirmen dabei.

Auch viele deutsche Zeitungen sehen das so. Wie kann man einer solchen radikalislamischen Demagogin ein Forum und ein Massenpublikum bieten? Die Morde und Massaker des IS, die Verbrechen an Zivilisten und Unbeteiligten - nicht mehr als eine "Langzeitprüfung" für gelangweilte westliche Jugendliche? Auch wenn Anne Will versucht, wie es ihre Aufgabe als Moderatorin ist, alle nacheinander zu Wort kommen zu lassen: Die anderen Gäste sind empört, was Nora Illi im Namen des Islam von sich gibt. Allen voran die drei anderen muslimischen Gäste. Mit einer Interpretation des Islam, wie sie Nora Illi vertrete, habe er nichts gemein, betont Ahmad Mansour. Und Sascha Mané, der Vater des nach Syrien gegangenen Mädchens, hält aus eigener Erfahrung dagegen: Jugendliche, die die Welt verbessern wollten, würden dabei den Falschen in die Hände geraten.

Illis Widersprüche entlarven sich selbst

Genau - nämlich Menschen wie Nora Illi, die das Leben in Kriegsgebieten als falsches Heldentum verherrlichen. Das wurde in der Sendung mehr als deutlich. Anne Will musste das gar nicht selbst sagen, sie hielt sich mit Meinungsäußerungen zurück und tat, was ihre Rolle war: moderieren. Die Widersprüche in Illis Argumentation erschlossen sich jedem Zuschauer auch so klar und deutlich. Anders als beispielsweise in den USA oder Großbritannien ist es in deutschen Medien ungewöhnlich, dass extreme Positionen Raum bekommen. Aber es ist richtig: Denn um sich eine Meinung zu bilden, muss man alle Positionen kennen - auch die extremen. Nur so kann man sich gegen sie entscheiden.

Nora Illi (Foto: picture-alliance/dpa/K. Schindler)
Nora Illi, Frauenbeauftragte im "Islamischen Zentralrat Schweiz"Bild: Picture-Alliance/dpa/K. Schindler

Auch wenn es weh tut, ihr zuzuhören, ohne sie überhaupt richtig sehen zu können: Auch eine radikale Muslimin wie Nora Illi darf in einer deutschen Talkshow ihre Meinung sagen. Denn dass ihre Äußerungen nicht als IS-Propaganda stehen bleiben, dafür hatten die Sendungsmacher mit der Besetzung der Gästerunde schon gesorgt. 

Zugegeben, das war ein Drahtseilakt. Vor allem in einer Live-Sendung, bei der man nicht weiß, was einzelne vor der Kamera sagen werden. Es ist ein Risiko, jemanden wie Nora Illi einzuladen. Aber das Risiko war kalkuliert und der Plan ist aufgegangen. Denn die vier anderen, allen voran die drei muslimischen Gesprächsteilnehmer, protestieren vehementer gegen die Frau im Niqab, als das einer Moderatorin überhaupt möglich wäre. Ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger machten die Talkgäste klar, wie abseitig die Positionen der Extremistin sind und dass sie nichts mit ihr zu tun haben wollen. Die Gäste der Runde - wie auch die allermeisten Muslime in der deutschen Gesellschaft. Und das war gut so. 

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