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Politik

Die Wirklichkeit von Kirche am Amazonas

5. Oktober 2019

Für die indigene Bevölkerung im Amazonas und damit auch für den Regenwald spielt die katholische Kirche eine große Rolle. Aber auch für die Kirche in Deutschland ist die Amazonas-Synode wichtig, meint Christoph Strack.

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Peru Papst besucht Völker des Amazonasgebiet in Puerto Maldonado
Der Papst mit Vertretern der Indigenen aus dem Amazonas-Gebiet bei seinem Besuch in Peru im Januar 2018Bild: Reuters/H. Romero

"Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee." Das war einer der Kernsätze in der Ende 2013 erschienenen ersten Enzyklika von Papst Franziskus. Unter dem Titel "Evangelii gaudium" (Freude des Evangeliums) klang sie nach Neustart, nach einem Versuch, vom konkreten Menschen, seinen Nöten, seiner Hoffnung her zu denken. Mit kaum einem Satz lässt sich die Wucht, die den Papst aus Lateinamerika bei der am Sonntag beginnenden dreiwöchigen Amazonas-Synode treibt, besser erklären.

Der grüne Papst

Gegen alle abgehobenen Dogmatiker und Ideologen gleich welcher theologischen Couleur geht es Franziskus um die Not der Menschen im gewaltigen Amazonas-Raum, der in ihrer Existenz bedrohten Indigenen. Und in diesem Fall geht es dem Papst auch um die "grüne Lunge" der Erde, um Brandrodung und Umweltzerstörung, um die Verbrechen an der Schöpfung. Die dramatischen Flächenbrände am Amazonas erschütterten im Sommer Menschen weltweit. Jetzt brennt es immer noch, doch die mediale Aufmerksamkeit ist weitergezogen. Franziskus wusste schon vorher um die katastrophale Lage, er vergisst sie auch jetzt nicht. So wird er mit der ganzen Synode immer und immer wieder die Weltgemeinschaft mahnen. Hoffentlich drastisch mahnen. Der erste Papst, der sich nach dem Heiligen Franziskus benannte, ist ein grüner Papst - jenseits der politischen Farbe. Und sein Herz geht auf, wenn er einfachen, bodenständigen Menschen dieses Anliegens begegnet, ihnen Nähe zeigen kann.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Zu seiner Nähe gehört die Verbundenheit zu den Menschen am Rande. Das sind in diesem Fall die Ureinwohner, jene Indigenen, die in einer Reihe der neun Amazonas-Anrainerstaaten unter Druck stehen und leiden. Weil ihnen das Land heilig ist, sind sie multinationalen Konzernen und Großgrundbesitzern ein Dorn im Auge. Und die Kirche steht heute entschiedener als früher an ihrer Seite.

Einer der großen Kardinäle Lateinamerikas, der Brasilianer Cláudio Hummes (85), seit gut 60 Jahren Priester und von mehr seelsorgerischer Erfahrung geprägt als viele der Kritiker des Papstes in ihrem römischen Wohlstandsidyll, wird nicht müde zu mahnen: An die 80 Prozent der Gemeinden im Amazonasgebiet bekämen nur unregelmäßig (und das meint: wenige Male im Jahr) einen Priester zu sehen. In Zeiten erstarkender fundamentalistischer Freikirchen schwächt das die Gemeinden, die Gläubigen. Denn Kirche lebt in ihrem Wesen aus der gemeinsamen Feier der Eucharistie - und diese Eucharistie knüpft die Kirche an das Priesteramt. Hummes erinnert in diesen Tagen auch daran, dass kirchliche Männer und Frauen am Amazonas schon getötet worden seien und um ihr Leben zu fürchten hätten. Es ist eine mehr als dramatische Situation.

Bewährte verheiratete Männer als Priester?

Es wäre zu hoffen, dass die Synode - und mehr kann sie nicht leisten - dem Papst die Zulassung "bewährter verheirateter Männer" zum Priesteramt empfiehlt. Ausdrücklich wird diese Frage im Arbeitspapier der Synode benannt (und schon deshalb schreien die Franziskus-Gegner aus der Welt von gestern "Häresie, Glaubensabfall"). Und es wäre zu hoffen, dass Papst Franziskus dieser Empfehlung folgt und nicht wieder zurückschreckt. Denn es geht - wie gesagt - um das geistliche Leben existenziell bedrohter Menschen und Gemeinden. Er könnte diesen Schritt gehen. Denn diese Zulassung verheirateter Männer verstößt gegen kein Dogma. Die Dispens zur Zulassung verheirateter Männer obliegt allein dem Papst. (Und - Traditionalisten müssen jetzt ganz tapfer sein - auch in einem deutschen Priesterseminar der katholischen Kirche, in Eichstätt, werden verheiratete Männer für mit Rom unierte katholische Ostkirchen zu Priestern ausgebildet.)

Ob ein solcher Schritt für den Amazonas-Raum Auswirkungen auf die Lehre und Praxis in Deutschland hätte? "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee", erklärte Franziskus. Die Idee zur Änderung beim Priesteramt gibt es in Deutschland schon lange, allein die Wirklichkeit ist eine andere. Da sind Zweifel also angebracht.

Schierer Hass der Franziskus-Kritiker

In Rom beeindruckt in diesen Tagen, mit welcher Vehemenz Kritiker und wohl auch Hasser von Papst Franziskus den Notstand ausrufen. Aus manchem Beitrag rechtskonservativer Kreise im US-Milieu, für die der Trumpismus das neue Evangelium ist, spricht schierer Hass, wenn auch Bischöfe von "Häresie" (wofür man früher verbrannt werden konnte) reden oder Klarnamen-Twitterer sich den baldigen Tod dieses Papstes wünschen.

Aber die Kirche in Deutschland und Europa wird nur bleiben, wenn sie sich ändert. In kleineren Schritten. Wenn das Priesteramt klerikal geprägt und faktisch ein Machtamt bleibt, ist es in diesen Regionen tot und zieht die Kirche mit hinab. Nein. Die Amazonas-Synode kann und muss ein Nachdenken über den Kern von Kirche anstoßen. Im Vatikan, auch in Deutschland. Dann mag es Entwicklungen geben. Aber bis dahin ist es ein weiter, ein sehr weiter Weg.

Letztlich trägt die Kirche unter diesem Papst nun Konflikte aus, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) mit seiner Öffnung hin zur Welt aufs Gleis setzte und die seitdem meist von oben munter gebremst oder bekämpft wurden. Es sind harte Konflikte, die notwendig sind. Und ihr Hintergrund lautet: "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee."