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Perspektive als Strategie

5. Juli 2016

Der Brexit bestimmt in diesen Wochen die Tagesordnung der Europäischen Union. Und dennoch ist die EU gut beraten, den Westbalkan nicht aus dem Blick zu verlieren, meint Adelheid Feilcke.

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Paris Westbalkan Konferenz Merkel und Hollande
Angela Merkel und Frankreichs Präsident Hollande sind die entscheidenden Fürsprecher der Westbalkan-Staaten in der EUBild: picture-alliance/dpa/E. Laurent

Mit der Perspektive ist es so eine Sache - man sieht etwas an, aber man ist nicht dabei. Man schaut hinein, ist aber nicht drin. So ist also die bei der Westbalkankonferenz beschworene EU-Perspektive eigentlich ein leeres Versprechen. Klar haben die Westbalkanstaaten eine EU-Perspektive. Fragt sich nur: welche?

In der guten alten Zeit vor Flüchtlingskrise und Brexit waren die Verhältnisse klar: Wir sind drin, ihr wollt rein! Und wir sagen Euch, wo es lang geht! Aber so klar sind die Verhältnisse schon lange nicht mehr.

Selbstbewusster Balkan

Die Staaten des westlichen Balkans halten mit ihren Grenzschließungen nicht nur der EU den Rücken in der Flüchtlingsfrage frei. Sie bergen auch jede Menge Konfliktpotenzial, das auch für EU-Europa gefährlich sein kann: Terrorismus, wachsender Islamismus, ungeklärte Staatlichkeiten und Nachbarschaftsverhältnisse, wirtschaftliche Rückständigkeit. Dass diese Konflikte vor den Toren der EU schnellstmöglich gelöst werden, liegt nicht nur im Interesse des Balkans, sondern ganz Europas.

Nicht nur deshalb treten die Balkanpolitiker längst mit großem Selbstbewusstsein auf. Ja, sie wollen in die EU, spielen aber gleichzeitig mit anderen Optionen. Russland hat den westlichen Balkan als strategische Region ins Visier genommen, China sichert sich wirtschaftliche Großprojekte. Und die muslimische Bevölkerung vor allem in Bosnien und Kosovo, wird zunehmend von islamistischen Playern umworben. EU-Europa ist nicht die einzige Option und die Anziehungskraft schwindet, wenn die Mitgliedschaft in unerreichbare Ferne rückt.

Feilcke Adelheid Kommentarbild App
Adelheid Feilcke leitet die Europa-Redaktionen der DW

In dieser Gemengelage haben sich die Staatschefs der Westbalkanstaaten gut eingerichtet und lavieren geschickt mit den internen und externen Unsicherheiten, um ihre eigene Macht - nicht immer ganz auf die feine demokratische Art - auszubauen. Wachsende Einflussnahme auf die Medien und Vetternwirtschaft sind verbreitete Phänomene in der Region, korrupte Eliten ein grassierendes Problem.

Wo die EU noch Autorität genießt

Deshalb ist es so wichtig, dass die EU-Länder um Deutschland, Frankreich und Österreich den Westbalkan im Blick behalten. Bei aller vordergründigen Symbolpolitik der Westbalkangipfel, ist die Botschaft "Wir wollen Euch!" wichtig. Und die EU-Integration als klares Ziel schafft Verantwortlichkeiten auf allen Seiten.

Denn noch ist der Glanz der alten EU nicht überall verblasst, hat sie aus Balkan-Perspektive weiterhin Strahlkraft und - was wichtiger ist - genießt politische Autorität. Es wäre fatal, diese Tatsache nicht zu nutzen und jetzt angesichts der Aufregung um den Brexit den Westbalkan zu vernachlässigen. Jede Unklarheit schwächt die Autorität der EU und die demokratischen Kräfte in der Region und spielt denen in die Hände, die von instabilen Verhältnissen auf dem Balkan profitieren.

Grundbedingung: Aussöhnung mit den Nachbarn

Die Aufgaben auf dem Weg in eine EU-Integration sind immens: Rechtsstaatlichkeit ist ebenso ein kritisches Thema wie die gegenseitige Anerkennung der Staaten, die zum Teil noch vor wenigen Jahren miteinander Krieg geführt haben. Hier darf es keine faulen Kompromisse geben! Dass am Rande der Westbalkankonferenz die Blockade Kroatiens gegen über Serbiens EU-Verhandlungen überwunden wurden, zeigt, dass es gelingen kann, angesichts gemeinsamer Interessen nationale Egoismen zurückzustellen. Weitere bilaterale Annäherungen müssen folgen. Die serbischen Vorbehalte gegenüber Kosovo, die Frage der Staatlichkeit Bosniens, Griechenlands Blockade gegenüber Mazedonien - die offene Liste ist lang. Da muss noch viel verhandelt und eingefordert werden. Der Weg in die EU kann für die Beitrittskandidaten aber nur über die regionale Aussöhnung gehen.

Egal, welche Perspektive man einnimmt: Die Balkan-Integration ist ein langfristiges Projekt, das aber durch konkrete Fortschritte auf Kurs gehalten werden kann. Wirtschaftliche Kooperation und Investitionen müssen weiter zunehmen, ohne den Reformdruck zu verringern. Und die Jugend mitnehmen, die auf dem Balkan besorgniserregend frustriert und perspektivlos ist. Deshalb ist die jetzige Gründung eines regionalen Jugendwerks für den westlichen Balkan ein zukunftsweisendes Projekt, das vielen jungen Menschen in den Post-Konflikt Gesellschaften neue Perspektiven eröffnen soll - miteinander in einem gemeinsamen Europa.

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