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Politik

Wahlüberraschung am Hindukusch

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
28. September 2019

Die Taliban scheitern beim Versuch, die Afghanen bei der Präsidentschaftswahl von der Urne fernzuhalten. Die Zivilcourage der Wähler verdient höchste Anerkennung und darf nicht enttäuscht werden, meint Florian Weigand.

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Präsidentschaftswahlen in Afghanistan 2019
Bild: DW/E. Mahdavi

Wer am Vorabend in Afghanistan mit bangem Herzen zu Bett gegangen ist, wird sich am Wahltag erstaunt die Augen gerieben haben. Trotz aller Drohungen der vergangenen Tage, die Wahl mit Bomben und Angriffen zu verhindern: Der martialisch angekündigte Feuersturm der Taliban blieb zu aller Überraschung aus.

Es gab zwar eine ganze Reihe von Anschlägen, auch in großen Städten. Die meisten davon scheiterten aber und es blieb unterm Strich - nach derzeitigen Kenntnisstand - mit fünf Toten und ein paar Dutzend Verletzten weit ruhiger als an vielen anderen Tagen ohne ein derartiges Großereignis. Sonst sind oft weit mehr Opfer zu beklagen, so zynisch derartige Vergleiche auch wirken mögen.

Schon jetzt zwei Wahlsieger

So scheint es schon jetzt, lange vor dem Ende der Stimmenauszählung, die sich erfahrungsgemäß noch Wochen hinziehen wird, gleich zwei Wahlsieger zu geben: der afghanische Wähler, der im wahrsten Sinne todesverachtend zur Urne ging, und die afghanischen Sicherheitskräfte, die diese Wahl erst möglich machten. Oft gescholten wegen ihrer mangelnder Ausbildung, ihrer laxen Moral und schlechter Ausrüstung, ist es ihnen offenbar gelungen, vor allem in den großstädtischen Zentren wie Kabul oder im Norden in Mazar-e Sharif weitgehend für Ruhe zu sorgen.

Ist die Kampfkraft der Taliban doch überschätzt worden? Können ihnen Militär und Polizei tatsächlich Paroli bieten, wenn diese nur koordiniert und geeint genug auftreten? Das wäre ein "Game changer" bei Friedensverhandlungen, die früher oder später doch wieder aufgenommen werden müssen. Bisher sind die Taliban bei den Gesprächen mit den USA immer so aufgetreten, als sei ihre Herrschaft über ganz Afghanistan ohnehin nur eine Frage der Zeit.

Sieg der Zivilcourage

Ein Erfolg für die Sicherheitskräfte also, sicher mit Einschränkungen. In den Taliban-Gebieten gab es selbstverständlich überhaupt keine Wahllokale. Aber dort, wo die Stimmabgabe eben möglich war, gingen die Afghanen tatsächlich zur Urne - allen Drohungen und auch aller Frustration aus den manipulierten Wahlen der Vergangenheit zum Trotz.

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Florian Weigand leitet die Paschtu- und Dari-Redaktion

Bilder von vor allem jungen Leuten gingen über den Ticker und die sozialen Medien. Videos, die zeigen, wie sie in Schlangen vor den Wahllokalen anstanden. Beschwert haben sie sich vor allen über die administrativen Unzulänglichkeiten. Die Taliban waren für sie eher kein Thema. Wer Angst hatte, blieb ohnehin zuhause - das waren sicher deutlich mehr Menschen als bei den Wahlen zuvor. Aber, Hand aufs Herz: Wie hoch wäre wohl die Wahlbeteiligung in den wohletablierten Demokratien Europas, wenn es vorher derartige Anschlagsdrohungen gegeben hätte?

Wählerwillen ernst nehmen

Egal, wie hoch die Beteiligung nun tatsächlich war, die Politiker sollten angesichts dieser Zivilcourage ihrer Wähler deren Auftrag besonders ernst nehmen. Was für ein Hohn wäre es, wenn die nächsten Wochen wieder - wie bei vergangenen Wahlen - vom Gezänk der Präsidentschaftskandidaten über tatsächlichen oder behaupteten Betrug beherrscht würde? Und was für ein leichtfertiges Spiel mit der Zukunft des Landes, wenn sich eine Regierungsbildung wieder viele Monate hinzieht und die Taliban in der Zwischenzeit ungeniert ihre Machtbasis ausbauen können? Leider zeigt der Blick auf vergangene Wahlen, dass sich die Kontrahenten bisher wenig darum scheren.

Das muss sich ändern. Denn die Wahl müsste den Politikern in Afghanistan und weltweit eines klar machen: Der Wille zu einer demokratischen Selbstbestimmung in Afghanistan ist da, selbst mit den Taliban vor der Haustür.