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PolitikEuropa

Der lange Schatten des Kommunismus

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
9. Juli 2020

Die Demonstranten in Belgrad und anderen serbischen Städten haben guten Grund auf die Straße zu gehen. Denn bei den Wahlen am 21. Juni wurden sie von ihrem Präsidenten Aleksandar Vucic betrogen, meint Miodrag Soric.

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Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Belgrad
Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in BelgradBild: Getty Images/AFP/A. Isacovic

Ausländische Agenten - die waren es! Dunkle Kräfte jenseits der Grenzen ziehen die Strippen bei den Demonstrationen in Serbien. Da ist sich Präsident Aleksandar Vucic sicher. Erst vor wenigen Wochen hat er bei sogenannten "Wahlen" einen Erdrutschsieg errungen. Jetzt kontrolliert er zwei Drittel aller Sitze im Parlament. Um so schwerer fällt es ihm jetzt, die Hintergründe der Ausschreitungen, die Unzufriedenheit mit seiner Regierung zu erklären. Oder wie es diesen echten oder erfundenen "ausländischen Agenten" gelingen kann, Zehntausende von Demonstranten in mehreren Städten zu lenken.

Vucic nennt weder Ross noch Reiter. Verbreitet nur Verschwörungstheorien, alt-kommunistische Feindbilder. Gelernt hat er die von seinem Mentor, dem Verbrecher Slobodan Milosevic. Wie dieser mutierte er vom Kommunisten zum Nationalisten und gibt nun vor, Demokrat zu sein. Von Milosevic übernahm er auch die Methoden, um sich an der Macht zu halten: Verfolgung der Opposition, Gleichschaltung der Medien, Kontrolle der Justiz. Die jüngsten "Wahlen" in Serbien waren keine - zumindest keine demokratischen. Die Berichte der OSZE und anderer Wahlbeobachter sprechen eine deutliche Sprache.

Schlägertrupps gegen Demonstranten

Die Menschen in Serbien haben schon die zweite Nacht demonstriert, weil sie sich betrogen fühlen. Nicht nur bei der Wahl. In den Wochen davor hat Vucic fast alle Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie aufgehoben. Er gab vor, die Krise im Griff zu haben. Doch nach der Wahl stellt sich plötzlich heraus, dass alles viel schlimmer ist, als er vor der Wahl behauptet hatte: Die Pandemie grassiert, fordert immer mehr Menschenleben. Die Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Und der verantwortliche Präsident wäscht seine Hände in Unschuld.

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DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Jetzt schickt Vucic seine Schlägertrupps gegen die Protestierenden, mal in Uniform, mal ohne. Schenkt man den Demonstranten Glauben, mischen sich unter die Menschen auf den Straßen Geheimdienstler, werden gewalttätig, um den Widerstand zu desavouieren. Die Polizei hält sich keineswegs zurück, wie Vucic behauptet. Es kursieren viele Bilder von Sicherheitskräften, die mit Schlagstöcken auf am Boden liegende Männer und Frauen und sogar auf unbeteiligte Kinder einprügeln. Serbiens Sicherheitskräfte sind seit Jahrzehnten eine Schande dieses Landes.

Serbien ist keine Demokratie. So lange das so ist, hat es in der Europäischen Union nichts verloren. Die EU hat genug zu tun mit autokratischen Regierungschefs in ihren Reihen aus Mittelosteuropa. Bloß nicht noch einen von dieser Sorte, der von der Gemeinschaft mitfinanziert werden muss. 

Die Kanzlerin muss handeln

Angela Merkel fand in Brüssel zu Beginn der deutschen EU-Präsidentschaft wohlklingende Worte über die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa. Diese Bekenntnisse werden glaubwürdige Politik erst dann, wenn die Kanzlerin entsprechend handelt - etwa indem die Beitritts-Verhandlungen mit Serbien so lange suspendiert werden, so lange Vucic an der Macht ist. Brüssel sollte ferner von unabhängiger Seite untersuchen lassen, wer für die brutalen Übergriffe gegen die Demonstranten verantwortlich ist. Weigert sich Serbien der Zusammenarbeit, sollte die EU den Chefs der Polizei, des Innen- und Verteidigungsministeriums künftig die Einreise verweigern. Davonkommen lassen, darf die EU sie nicht. Viel zu lange hat die Bundeskanzlerin Vucic unterstützt. Er könnte einen dunklen Fleck auf ihre erfolgreiche Kanzlerschaft werfen.  

Vucics Stärke ist die Schwäche seiner Gegner: Die serbische Opposition ist zerstritten. Zudem ist es dem Atheisten Vucic gelungen, die Serbisch-Orthodoxe Kirche zu vereinnahmen. Genauer: Einige Bischöfe - etwa der in der Vojvodina - haben sich vor seinen Karren spannen lassen. Vucic kontrolliert den Staatsapparat und alle damit verbundenen Ressourcen. So lange das so ist, dürfte er an der Macht bleiben.

Der Exodus der Serben

Zur Tragik gehört, dass die Situation für den Westen so schlecht gar nicht ist. Auf dem Balkan herrscht Frieden, junge und gut ausgebildete Serben verlassen in Scharen das Land, um ihr Glück in Kanada, Frankreich oder Deutschland zu machen. Lebten beim Zusammenbruch Jugoslawiens noch etwa zehn Millionen Serben im Land, sind es jetzt noch sieben, in wenigen Jahrzehnten vermutlich nur noch zwei bis drei Millionen. Das Problem des unruhigen Volkes auf dem Balkan erledigt sich damit von selbst. Vor allem dank Aleksandar Vucic und seiner Unterstützer.