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Kommentar: Putin macht alles schlimmer

Sollich Rainer Kommentarbild App
Rainer Sollich
8. Oktober 2015

Seit zwei Wochen bombardiert Russlands Luftwaffe in Syrien. Die Militäraktionen bringen dem gebeutelten Land noch mehr Gewalt. Eine Befriedung des Kriegs scheitert jedoch auch an anderen Akteuren, meint Rainer Sollich.

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Russischer Luftwaffenpilot in Syrien, Okt. 2015 (Foto: Reuters)
Russischer Luftwaffenpilot in SyrienBild: Reuters//Ministry of Defence of the Russian Federation

Angaben über Täter und Opfer oder über angebliche Angriffsziele in Syrien sind stets mit Vorsicht zu genießen. Es gibt in diesem Krieg keine wirklich unabhängigen Quellen - auch für arabische Journalisten und Medien nicht. Die meisten Informationen sind interessengeleitet. Journalisten bleibt wenig anderes übrig, als widersprüchliche Angaben vorsichtig einzuordnen und daraus ein mutmaßlich realitätsnahes Bild zu formen.

Auf dieser Basis zeichnet sich rund eine Woche nach Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien eine nüchterne Erkenntnis ab: Russlands Präsident Wladimir Putin wird Syrien keinen Frieden bringen. Vielmehr steht zu befürchten, dass der Konflikt weiter eskalieren und noch stärker außer Kontrolle geraten wird.

Die Angaben über mutmaßliche russische Angriffe auf "gemäßigte" und "islamistische" Rebellen in Syrien sind strittig, und sie werden es vermutlich bleiben. Eines jedoch ist offensichtlich: Dass der russische Präsident die Sichtweise seines Schützlings Baschar Al-Assad übernommen hat, und der sieht in praktisch allen Regierungsgegnern "Terroristen" - und keineswegs nur in den Kämpfern des "Islamischen Staates" (IS), die er zumindest in der Vergangenheit eher verschont hatte.

Schiitische gegen sunnitische Achse

Russische Kampfflugzeuge haben wiederholt und gewiss keineswegs zufällig den türkischen Luftraum verletzt. Auch das zeigt, dass Moskau offensichtlich nicht gewillt ist, für eine Lösung in Syrien mit dem Westen zusammenzuarbeiten und dafür beispielsweise eine gemeinsame Initiative zu entwickeln. Stattdessen ist Russland zu einer Kriegspartei geworden, die zugunsten der "schiitischen Achse" aus Iran, Irak und syrischem Regime offen in den Krieg eingreift und dabei auch nicht vor hochgefährlichen Manövern gegenüber NATO-Mitgliedsländern wie der Türkei zurückschreckt.

Damit wird Moskau in der Region zum Gegner anderer wichtiger Akteure: Zahlreiche Rebellentruppen - sunnitische Islamisten wie säkulare Kräfte - betrachten Russland nun als Aggressor und Besatzungsmacht und rufen nach militärischer Unterstützung. Solche Aufrufe haben beste Chancen, innerhalb der "sunnitischen Achse" von den Golfstaaten bis zur Türkei schnell Gehör zu finden und Geld für weitere Waffen locker zu machen. Doch auch dort ist kaum jemand an einer gerechten Friedenslösung interessiert, die der syrischen Bevölkerung nützt. Es zählen allein Partikularinteressen und der Kampf um strategische Einflusszonen.

Rainer Sollich, Arabische Redaktion der DW (Foto: DW)
Rainer Sollich, Arabische Redaktion der DW

Russen, Amerikaner, Iraner, Kämpfer der libanesischen Hisbollah sowie zahlreiche Söldner und Überzeugungstäter aus arabischen Ländern und sogar aus Europa kämpfen inzwischen in irgendeiner Form in oder über Syrien. Die Lage wird immer unübersichtlicher und könnte auch den Irak weiter destabilisieren.

Kein Frieden ohne Interessenausgleich

Die Anzahl der Syrer, die nach Europa und insbesondere nach Deutschland flüchten, wächst. Dass ausgerechnet Russlands militärische Parteinahme zugunsten einer Kriegspartei den Syrern endlich Frieden und den Europäern Entlastung in der Flüchtlingskrise bringen könnte, ist eine unrealistische Vorstellung. Putin führt den Westen an der Nase herum und versucht, ihm seinen Willen und seine Bedingungen aufzuzwingen.

Damit befeuert Moskau mutwillig einen Konflikt, der nicht nur vom IS und konkurrierenden Rebellengruppen, sondern gerade seitens des syrischen Regimes mit größter Brutalität und menschenverachtendem Zynismus geführt wird. Die Menschen fliehen nicht nur vor dem IS. Sie flüchten insbesondere vor Assads Fassbomben.

So frustrierend die Erkenntnis auch ist: Ohne einen umfassenden Interessenausgleich zwischen den syrischen Konfliktparteien, den Regionalmächten Iran, Türkei und Saudi-Arabien sowie den Großmächten USA und Russland wird es keinen Frieden in Syrien geben. Sie alle tragen in irgendeiner Form Mitschuld daran, dass das Morden weitergeht, auch die US-Amerikaner mit ihrem unentschlossenen Zick-Zack-Kurs.

Eine Lösung militärisch zu erzwingen oder säkulare Rebellengruppen in eine Koalition mit dem verhassten Assad-Regime zu drängen, dürfte auch Russland nicht gelingen. Putins Militärintervention macht alles nur noch schlimmer.

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