1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Putin-Show ohne Ideen

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto
15. Juni 2017

In seiner 15. Frage-und-Antwort-Show im TV blieb Präsident Putin seinen Landsleuten jegliche Zukunftsvision schuldig. Bei der wachsenden Proteststimmung im Land kann das nicht mehr lange gut gehen, meint Juri Rescheto.

https://p.dw.com/p/2ekqv
Russland TV Der direkte Draht zu Putin
Bild: picture-alliance/AP Photo/Sputnik/Alexei Druzhinin

Langeweile ist der größte Killer. In der Liebe wie in der Politik. Das Letztere war eine Lektion für die Russen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Nach langen Jahren der Stagnation hat es erstmal ordentlich geknallt. Und wer zu spät kam… den bestrafte das Leben.

Seitdem langweilt sich das größte Land der Welt nicht mehr. Turbokapitalismus und gelenkte Demokratie, Justizskandale und Korruption, Menschenrechte und Homophobie, Krim, Syrien, Donbass. Aber selbst die vermeintlichen Errungenschaften eines Staates und Siege seines Präsidenten können das Problem der Langeweile nicht lösen, wenn eben dieser Präsident zu lange an der Macht ist.

Darum muss sich Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner de facto fünften Amtszeit neu erfinden. Irgendwie. Und irgendwann. Nicht unbedingt jetzt, zehn Monate vor der Präsidentschaftswahl. Die kann er auch so gewinnen, wenn nichts Außerordentliches passiert, weil der Kremlchef nach wie vor populär ist. Später aber schon. Wenn die Ressourcen zu Ende gehen, das Land und seine Eliten international noch mehr isoliert sind und die heutigen Schüler und Studenten, die immer zahlreicher auf der Straße protestieren, das Ruder herumreißen.

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto leitet das DW-Studio in Moskau

Keiner fragt nach der Zukunft des Landes

Putins Problem aber ist, dass er schon alles gesagt hat. Dass viele seiner "Ideen des Fortschritts und der Erneuerung” mittlerweile genauso laut ausgesprochen wie leise begraben wurden. Diversifizierung der Wirtschaft? Hatten wir schon. Modernisierung des Justizsystems? Krieg gegen den Terror? Putins Krim-Politik und Hurra-Patriotismus? Wirkt alles nicht mehr.

Stattdessen wirkt Wladimir Putin selbst in seiner Frage-Antwort-TV-Show 2017 einfach nur ... wie er schon 2016, 2015 und in den Jahren davor wirkte: zahlentechnisch fit, ideenmäßig hohl. Nach mehreren Stunden "Umgang mit dem Volk” und fast zwei Millionen eingereichten Fragen eben dieses Volks bleibt nicht nur einfach die Frage nach Putins Präsidentschaftskandidatur 2018 aus, sondern auch und vor allem die Frage nach der Zukunft dieses Landes. Nicht mehr und nicht weniger. Keine Vision, keine Strategie und auch keine Idee, was Russland seiner Jugend bieten will, der eben diese Zukunft gehört. Und die immer unzufriedener wird: mit ihrem Staat und ihrem Staatschef. Und die sich darum gezwungen sieht, ihre Chancen auf eine Zukunft auf der Straße zu verteidigen.

Unfähig zum positiven Dialog

Noch härtere Strafen und noch mehr Verhaftungen nach den massenhaften willkürlichen Festnahmen der letzten Tage? In Moskau, Sankt Petersburg, Wladiwostok und Nowosibirsk… Es spielt keine Rolle mehr, wer wen am vergangenen Wochenende in der russischen Hauptstadt mehr provoziert hat: die Staatsmacht den Oppositionsführer Nawalny, indem sie ihn extrem unter Druck setzte oder der Politiker selbst, indem er die Massen an einen nicht genehmigten Ort lenkte. Die wirklich wichtige Lektion der Proteste ist: die Staatsmacht ist nicht in der Lage, einen wie auch immer gearteten positiven Dialog mit der Bevölkerung zu führen. Vor allem mit jungen Menschen.

Die Proteste am 12. Juni haben gezeigt: Härte hilft nicht. Trotz der sinnlosen und zum Teil brutalen Verhaftungen nach den Protesten am 26. März kamen am vergangenen Wochenende wieder einmal zehntausende unzufriedene Russen auf die Straße. Der Staat hat die Situation nicht mehr unter Kontrolle. Im Gegenteil. Dem charismatischen Oppositionspolitiker und prominenten Putin-Kritiker Alexej Nawalny gelingt es, die Lage zu seinen Gunsten zu nutzen und die Geografie der Proteste sogar auf weitere Städte auszuweiten. Einschließlich der Orte, die die letzten Proteste im Jahre 1905 erlebten.

Dazu aber kein Wort vom Präsidenten. Dem Präsidenten eines alternden europäischen Landes, in dem ein bedeutender Teil der Jugend mit denselben Werten und nach denselben Standards lebt, wie die Altersgenossen im Rest Europas und den USA. Und der allein schon durch seine Lebensweise die berüchtigten traditionellen Werte ablehnt, die ihm Mütterchen Russland aufzwingen will. Diese Jugend zu ignorieren, könnte gefährlich werden. Für die Staatsmacht selbst. Denn wer zu spät kommt…

 

Sie können unterhalb dieses Artikels einen themenbezogenen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!


 

 

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga