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Quote statt Dublin

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
18. August 2015

Europa stöhnt über die steigende Zahl von Asylbewerbern. Zu unterschiedlich sind die Lasten verteilt, aber wer will das wirklich ändern? Die meisten EU-Staaten haben kein Interesse daran, meint Bernd Riegert.

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Flüchtlingskind in Berlin (Foto: Reuters)
Angekommen: Flüchtlingskind in BerlinBild: Reuters/S. Loos

Vor 25 Jahren haben sich die Staaten der Europäischen Union die sogenannten Dublin-Regeln für die Aufnahme von Asylsuchenden gegeben. Damals sollte sichergestellt werden, dass sich die Staaten die Zuständigkeit für Asylbewerber nicht länger gegenseitig zuschieben. Es sollte geklärt werden, wer sich um ankommende Menschen kümmern muss.

Die erste Dublin-Verordnung war noch nicht in Kraft getreten, da wurde schon heftig darüber diskutiert, ob die Verteilung wirklich gerecht und durchzuhalten sei. Inzwischen gilt die Dublin-III-Regelung. Im Kern ist nach europäischem Recht noch immer der Staat für die Registrierung eines Asylsuchenden und das Asylverfahren zuständig, in dem der Asylbewerber zum ersten Mal die EU betreten hat.

Im Laufe der Jahre haben sich die Fluchtwege verschoben, zurzeit liegt die Last der Ersteinreisen hauptsächlich bei Griechenland und Italien. Auch die Herkunftsstaaten der Asylbewerber haben sich immer wieder verändert, je nachdem, welche Konflikte in den Krisenregionen rund um Europa gerade am heftigsten aufbrachen. Seit Beginn des Krieges in Syrien sind die Asylbewerberzahlen in den vergangenen Jahren stark angestiegen.

Die Krise, die wir jetzt erleben, ist also eine mit Ansage. Wirklich überraschend kommt das Ansteigen der Bewerberzahlen nicht. Bereits im Oktober 2014 schrillten bei einem informellen Treffen der EU-Innenminister angesichts der Prognosen sämtliche Alarmglocken. Aber vorbereitet haben sich darauf in Europa offenbar nur wenige. In der Asylpolitik wird oft nicht vorausschauend, sondern reagierend gehandelt. Vielleicht immer in der stillen Hoffnung, die Flüchtlinge klopften doch beim Nachbarn an.

Dublin außer Kraft

Doch diese Hoffnung trügt, denn in diesem Jahr treffen mehrere Migrationsbewegungen an Europas Grenzen zusammen: Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak, politische Flüchtlinge aus Eritrea und Nigeria, wirtschaftlich motivierte Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten und vom westlichen Balkan. Nach der Dublin-III-Regel wären Griechenland, Italien, Bulgarien und Ungarn zum größten Teil für die erste Aufnahme der Asylbewerber zuständig.

DW-Europakorrespondent Bernd Riegert (Foto: DW)
DW-Europakorrespondent Bernd Riegert

Doch der Rechtsrahmen Dublin funktioniert nicht mehr, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit dem ZDF nun endlich erstmals öffentlich eingeräumt hat. Einige Staaten können angesichts der nackten Zahlen die Asylbewerber nicht mehr menschenwürdig aufnehmen. Einige Staaten wollen das aber auch nicht.

Die Zustände auf der griechischen Insel Kos etwa sind dramatisch und bedauerlich, aber der griechische Staat ist schon seit Jahren nicht fähig und nicht willig, ein funktionierendes Aufnahmesystem aufzubauen, trotz angebotener Hilfsgelder aus Brüssel. Das gleiche gilt in abgeschwächter Form auch für Italien, dass wesentlich weniger Asylbewerber registriert, als tatsächlich ankommen. Viele reisen einfach weiter nach Norden, Dublin hin oder Dublin her.

Die südlichen Mittelmeeranrainer verweisen immer wieder darauf, dass es ungerecht sei, dass sie die Hauptlast tragen müssten. Für dieses Argument spricht einiges, deshalb wäre es gut, wenn jetzt die gesamte EU-Spitze anerkennen würde: Dublin ist tot. Aber was kommt dann?

Quote nicht mehrheitsfähig

Seit Jahren beraten die EU-Staaten über ein anderes Aufnahmesystem. Die EU-Kommission hat ein Quotensystem, zunächst auf freiwilliger Basis, ins Gespräch gebracht. Darauf konnten sich die Innenminister der EU aber nicht einigen. Im Moment nehmen nur fünf Staaten die Masse der Asylanträge entgegen. Sie würden bei einer Quotenregelung also gewinnen, die übrigen 23 Staaten müssten mehr Asylbewerber aufnehmen. Vor allem Großbritannien, Spanien und viele osteuropäische Mitglieder winken deshalb ab.

Es ist also gut, dass die Bundeskanzlerin die Flüchtlingsfrage zum nächsten großen Projekt erklärt hat, an dem Europa zeigen könne, dass es in der Lage sei, gemeinsam zu handeln. Wohlfeile Worte, denen nun auch Taten folgen müssten.

An einer gerechten Aufteilung und einem einheitlichen Asylsystem doktert Europa nun schon zwei Jahrzehnte herum. Deutschland hat an einer Verbesserung des Systems großes Interesse, weil im Moment mehr Menschen hier Asyl suchen, als das Land nach einer imaginären Quote aufnehmen müsste. Die läge so bei 16 Prozent. Im Moment sind es tatsächlich eher 30 Prozent aller Asylbewerber in Europa, die nach Deutschland kommen.

Allerdings: Betrachtet man die vergangenen sieben Jahre und ermittelt einen Durchschnitt, dann sieht das Bild schon wieder anders aus. Danach hätte Deutschland seine Quote ungefähr erfüllt. Italien nähme zu wenige Asylbewerber, Griechenland zu viele auf.

Zu viel leere Worte

Wegen der 28 unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten scheint es auf absehbare Zeit unmöglich zu sein, eine Quote zu finden. Die Mahnungen des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, die EU-Staaten müssten untereinander mehr Solidarität zeigen, laufen deshalb ins Leere. Die grundsätzliche Haltung zu Migration, Einwanderung und Asyl zu ändern, dürfte noch sehr lange dauern.

Die immer beschworene Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern mag man gar nicht mehr erwähnen, so abgedroschen ist die Phrase. Die Fluchtursachen und die Schicksale ihrer Bürger sind den Machthabern in Syrien, Libyen, Eritrea und anderen Ländern vollkommen egal.

Vielleicht kann die EU wenigstens auf einige gemäßigte afrikanische Herkunftsländer und die demokratisch verfassten Staaten auf dem Balkan Einfluss ausüben. Dazu sind im November eine EU-Afrika- und bereits nächste Woche eine Westbalkankonferenz geplant. Bei diesen Veranstaltungen müssen nun endlich Fakten auf den Tisch und konkrete Schritte beschlossen werden. Aber diese Forderung ist schon fast so alt das erste Dublin-Abkommen: 25 Jahre.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union