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Politik

Revolution abgesagt

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Jens Thurau
29. Juni 2018

War's das jetzt? Alle zufrieden? Regierungskrise beigelegt? Merkel gerettet? Wenn das stimmt, ist ein unbeschreibliches Schmierenstück deutscher Politikkultur endlich beendet. Verloren haben alle, meint Jens Thurau.

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Symbolbild CSU Migranten Xenophobie Fremdenfeindlichkeit Seehofer
Bayerns Ministerpräsident Söder (l.) mit dem CSU-Vorsitzenden und Bundesinnenminister Seehofer (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Standen wir nicht unmittelbar vor dem Abgrund? Markus Söder, Alexander Dobrindt und Horst Seehofer, fest entschlossen, Angela Merkel die Stirn zu bieten, wenn sie den CSU-Musketieren nicht folgt? Wenn sie nicht in der EU durchsetzen kann, was die forschen Herren unbedingt wollen? Nämlich Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, die schon woanders in der EU angelandet sind? War doch so, oder? Vom "Finale" war die Rede, von der "Wende in der Asylpolitik". Dreist stellten die Herren der Dame ein Ultimatum, wobei es sich bei der Dame um die mit Richtlinienkompetenz ausgestattete Bundeskanzlerin handelte.

Willkommenskultur ist ein Wort von gestern

Nun hat der EU-Gipfel tatsächlich eine massive Verschärfung der europäischen Flüchtlingspolitik beschlossen. Die Schotten sind dicht, Willkommenskultur ist ein Wort von gestern. Die Populisten des Kontinents wissen jetzt: Sie müssen die etablierten Politiker nur fest vor sich hertreiben, dann kriegen sie ihren Willen. Das Problem ist nur: Bei der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, bei der Verteilung der Schutzsuchenden, also bei den Punkten, von denen nach Lesart der CSU Wohl und Wehe des ganzen Landes abhing, hat er Gipfel nur vage Absichtserklärungen hervorgebracht. Mit Griechenland und Spanien sollen jetzt bilaterale Vereinbarungen darüber getroffen werden. Was mit Flüchtlingen ist, die bereits in anderen EU-Staaten registriert wurden, bleibt offen.

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Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Aber egal, der Wind hatte  sich ja vorher schon gedreht. Die CSU war schon vor dem Brüsseler Treffen auf dem Rückzug. Kein inhaltliches Argument, keine Überzeugung, keine Sachdebatte hat sie dazu gebracht, sondern ganz einfach: eine Umfrage. Die stellte vor einigen Tagen fest: Das Volk in Bayern hält nicht viel vom Krawallkurs ihrer Christsozialen, die Kanzlerin ist in Bayern beliebter als der Ministerpräsident. Das saß. Denn um etwas anderes ging es ja in Bayern nie als um die Landtagswahl im Herbst, die Macht der CSU. Merkel zu Fall gebracht zu haben, schien die größtmögliche Beute zu sein für Ministerpräsident Markus Söder. Und die gesamte CSU wollte einfach Recht behalten beim Thema Flucht und Asyl. Merkel sollte einsehen, dass sie sich geirrt hat. Wie im Kindergarten. Das haben die bayrischen Wähler offenbar erkannt.

Also steigen jetzt alle runter von den hohen Bäumen, die sie erklommen haben und tun so, als wäre nichts gewesen. Ein jämmerliches Bild. Ein Sieg der Populisten, die man doch so entschieden bekämpfen will. Kein Rücktritt Merkel, kein Rücktritt Seehofer, so wie es im Moment aussieht. Auch keine Anweisung des Innenministers, ab Montag die bereits anderswo registrierten Flüchtlinge an den Grenzen abzuweisen. Ende eines heldenhaften Kampfes.

Wie wäre es mit guter Regierungsführung?

Dieses Land hat wahrlich einige Probleme: veraltete Infrastruktur, marode Schulen, die Versorgung ländlicher Gebiete. Die Situation in der Pflege. Prekäre Arbeitsverhältnisse. Wie wäre es, wenn die Herren und Damen sich zusammensetzen, um hier endlich Abhilfe zu schaffen? Das wären genau die Grundlagen guter Regierungsführung, die ja gerne von den armen Ländern des Südens eingefordert werden - meist mit arg schulmeisterlichem Unterton. Deutschland hat sich hingegen in den vergangenen Wochen in erster Linie mit Drohungen, großmäuligen Angriffen und Ultimaten beschäftigt, die sich nunmehr schlagartig in Luft aufgelöst haben. Jetzt tun alle so, als hätten sie und nur sie gewonnen. Welcher Schaden damit angerichtet wurde, werden wir wohl erst mit einiger Zeitverzögerung sehen.

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