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Kommentar: Rumäniens stummer Protest gegen die Politik

4. Dezember 2008

Nach der Parlamentswahl in Rumänien gibt es keine klaren Mehrheiten. Robert Schwartz kommentiert.

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Bild: DW

Rumänien hat ein neues Parlament. Zum ersten Mal seit dem EU-Beitritt des Landes hatten die Wähler Gelegenheit, ein klares Zeichen zu setzen – das neue Wahlrecht hätte es jedenfalls möglich gemacht. Nicht Listen, sondern Direktkandidaten standen zur Wahl. Die generell als korrupt und inkompetent geltende politische Klasse hätte abgewählt werden können. Endlich hätte ein dringend nötiger Erneuerungsprozess beginnen können. Doch die Wähler haben anders entschieden: Über 60 Prozent der Wahlberechtigten blieben den Urnen fern. Somit steht auch der Hauptgewinner dieser Parlamentswahl fest: Es ist die Politikverdrossenheit. Dafür sprechen auch die vielen der abgegebenen Wahlzettel, die „weiß“ geblieben sind, d. h. ohne Stempel auf einem der Kandidaten-Namen: Ein stummer Protest gegen die Politik.

Neue alte Allianzen möglich

Doch wie geht es nun weiter? Rumäniens national-liberale Minderheitsregierung (PNL) hat die Wahlen verloren. Das war zu erwarten. Die Sozialdemokraten (PSD) stehen zwar nach Prozenten etwas überraschend als Wahlgewinner da, aber ihre Chancen, den neuen Ministerpräsidenten zu stellen, sind gering. Die Rechtsliberalen (PDL) des Präsidenten Traian Basescu sind aufgrund von Überhangmandaten stärkste Kraft im Parlament, prozentual jedoch liegen sie hinter den Sozialdemokraten. Rein rechnerisch sind drei Koalitions-Modelle möglich. Doch ähnlich wie 2004 wird erwartet, dass der Staatspräsident einen Kandidaten aus dem rechten liberalen Spektrum ernennen wird. Weil keine Partei die absolute Mehrheit hat, darf Basescu laut Verfassung einen Politiker einer beliebigen Fraktion als Premierminister vorschlagen. Dieser hat dann die Aufgabe, eine Koalitionsregierung zusammenzustellen, die vom Parlament bestätigt wird.

Die beiden rumänischen liberalen Parteien – einst Verbündete in der Allianz „Gerechtigkeit und Wahrheit“ – sind seit über zwei Jahren zerstritten. Doch angesichts der komfortablen gemeinsamen Mehrheit rückt eine Koalition zwischen PDL und PNL wieder in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Die Versuchung, einen „eigenen“ Ministerpräsidenten zu stellen, ist für Basescu groß: Denn im nächsten Jahr finden Präsidentschaftswahlen statt. Eine „freundliche“ Regierung wäre für ihn von entscheidendem Vorteil.

Spannendes Rennen

Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise hat im Wahlkampf keine Rolle gespielt. Doch spätestens bei der Regierungsbildung wird sie alle anderen Themen überschatten. Es ist zu erwarten, dass Basescu liberale Lösungen für die Ankurbelung der rumänischen Wirtschaft von einer neuen rumänischen Regierung erwartet.

Das Rennen um den künftigen Regierungschef verspricht also spannend zu werden. Denn vom neuen Kabinett hängen auch die Fortführung der so oft von der EU-Kommission angemahnten Reformen der Justiz sowie die Korruptionsbekämpfung ab. Rumänien kann sich mitten in der Wirtschaftskrise die mögliche Aktivierung von Schutzklauseln aus Brüssel nicht leisten. Dies nämlich würde nichts anderes bedeuten als die Streichung dringend benötigter EU-Gelder. Im letzten EU-Bericht ist Bukarest noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen – doch seither hat sich in Rumänien nicht viel getan im Bereich der Justiz.

Zum Schluss doch noch eine gute Nachricht: Zum ersten Mal seit dem Sturz der kommunistischen Diktatur hat die extrem-nationalistische Partei Großrumänien (Romania Mare) die Fünf-Prozent-Hürde weit verfehlt und zieht nicht ins Parlament ein. Zumindest hier hat der Wähler für ein klares Ergebnis gesorgt.

Robert Schwartz