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Scheingefechte in Calais

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
20. August 2015

Großbritannien und Frankreich haben vereinbart, den Eurotunnel gegen Flüchtlinge zu sichern. Calais ist ein Beispiel, wie Politiker sich durch Sprüche profilieren, statt nach Lösungen zu suchen, meint Barbara Wesel.

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Frankreich Flüchtlinge am Eurotunnel Calais
Bild: DW/B. Riegert

Mehr Zäune, mehr Überwachungskameras, mehr Polizisten - das ist das Ergebnis des neuen britisch-französischen Abkommens von Calais. Der Regierung in London geht es darum, Asylsuchende mit aller Macht von ihrer Insel fernzuhalten. Die politische Debatte dazu zeigt die Art menschenverachtender Hysterie, die vor allem auf dem Mist der ausländerfeindlichen UKIP-Partei gewachsen ist. Von der lässt sich der konservative Premier Cameron - so scheint es - nicht nur seine EU-Politik, sondern auch seine Rhetorik gegen Migranten vorschreiben: Von Flüchtlingsschwärmen ist da die Rede, die Großbritannien zu überrollen und überwältigen drohten. Menschen auf der Flucht werden auf eine Ebene mit Naturkatastrophen gestellt, und dagegen brauche man energische Maßnahmen.

Die Briten sind sowieso nicht Teil des offenen Grenzsystems von Schengen, aber die bestehenden Kontrollen sind ihnen längst nicht mehr genug: Höhere Gitter, noch schärfere Kontrollen, Bewegungsmelder flächendeckend - kaum etwas genügt den Ansprüchen von Innenministerin Theresa May, um die Schutzsuchenden aus dem Irak, aus Syrien oder Afghanistan von der Reise nach Großbritannien abzuhalten.

Der britische Beitrag zu den Fluchtursachen

Was hier fehlt, ist zunächst eine Diskussion darüber, wie viel britische Außenpolitik im vergangenen Jahrzehnt mit der katastrophalen Situation im Nahen und Mittleren Osten zu tun hat. Oder sind die Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak und in Libyen schon ganz vergessen und verdrängt? Aber London leugnet diese Verantwortung ganz ungeniert: Die Verdrängung geht hier so weit, dass die Regierung nicht einmal den Helfern der britischen Armee in Afghanistan Aufnahme gewährt, die mit ihren Familien von Racheaktionen der Taliban bedroht sind. Nur wenige Hundert von ihnen sollen Asyl bekommen, die anderen können sehen, wo sie bleiben. Schon diese peinliche Engherzigkeit zeigt den Geist, der in der britischen Regierung beim Thema Flüchtlinge herrscht. Mag doch da draußen die Welt untergehen, wir ziehen am Ärmelkanal die Zugbrücken hoch.

Und David Cameron zeigt darüber hinaus, wie wenig er mit Europa zu tun haben will. Die Anliegen und Probleme der Nachbarn interessieren ihn einen Kehricht. Er und seine Minister pflegen ihren nationalen Egoismus und tun so, als ob der Rest des Kontinents sie nichts anginge. Italien und Griechenland können die Masse der Migranten kaum mehr bewältigen - das interessiert uns doch in London nicht. Hauptsache, die Menschen bleiben in den Ankunftsländern! Deutschland erwartet rund 800.000 Asylbewerber - das ist ganz in Ordnung, denn dann belasten sie nicht die britischen Sozialsysteme. Hört man den Reden britischer Politiker zu, dann gibt es nur ein Volk und seine Interessen. Das ist nicht nur anti-europäisch: Das ist so unverschämt und verantwortungslos, dass man die Briten vor lauter Zorn am liebsten direkt aus der EU hinauswerfen möchte. Wozu denn warten, bis sie selbst entschieden haben, dass sie keine Europäer sind.

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Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in Brüssel

Was will Frankreich?

Warum die Regierung in Paris sich zu diesem Spiel hergibt, ist rätselhaft. Verspricht sich Francois Hollande Zuspruch von den Anhängern des Front National, wenn er sich in der Flüchtlingsfrage öffentlich hart zeigt? Das kann eigentlich nicht wahr sein. Und auch darüber hinaus kann der sozialistische Präsident durch den Schulterschluss mit London keine politischen Preise gewinnen. So fährt denn auch Innenminister Cazeneuve weiter nach Berlin, nachdem er zuvor in Calais mit seiner britischen Kollegin von dem starken Signal geschwafelt hat, das angeblich von einer gemeinsamen Grenzsicherung am Ärmelkanal ausgehe. Das ist alles Augenwischerei.

Nur wenn Deutschland und Frankreich hier zu einer gemeinsamen Politik kommen, gibt es eine Chance, die Flüchtlingskrise in Europa zu meistern. Die französische Regierung sollte sich lieber darauf konzentrieren, zusammen mit Berlin europäische Lösungen zu formulieren, statt Fernsehauftritte mit starken Sprüchen in Calais zu absolvieren, die niemandem weiterhelfen. Viele der Flüchtlinge dort übrigens werden inzwischen von Schlepperbanden über belgische Häfen nach Großbritannien gebracht, weil der Weg durch den Tunnel und den Fährhafen längst verbaut ist. Und diese Banden werden von britischen Kriminellen dominiert. Da gäbe es doch ein nützliches Betätigungsfeld für Innenministerin Theresa May - und zwar ganz im eigenen Interesse!