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Schutz für Frauen und Kinder - jetzt!

Deutschland Beate Hinrichs
Beate Hinrichs
10. Oktober 2015

Bisher dringen kaum Meldungen über Vergewaltigungen oder sexuellen Missbrauch in Flüchtlingsunterkünften an die Öffentlichkeit. Doch die Dunkelziffer ist hoch - und es ist höchste Zeit zu handeln, meint Beate Hinrichs.

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Deutschland Symbolbild Flüchtlinge Gewalt gegen Frauen und Kinder
Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

Lange Gänge auf dem Weg zu den Waschräumen, keine abschließbaren Duschen oder Toiletten, Gemeinschaftsräume ohne Privatsphäre: Das ist Alltag in vielen Flüchtlingsunterkünften. Und das ist keine Umgebung, in der Frauen und Kinder vor Gewalt und sexualisierten Übergriffen geschützt sind oder in der sie sich sicher fühlen, wenn sie vor solcher Gewalt geflohen sind oder sie während der Flucht erleben mussten.

Asylsuchende Frauen und Kinder in Sammelunterkünften sind besonders verletzlich. Wo Menschen auf engem Raum, ohne Beschäftigung und vielfach traumatisiert zum Zusammenleben gezwungen sind, wächst die Gewalt und entlädt sich oft gegen Schwächere. Und die schweigen oft aus Scham.

Haben Frauen und Kinder zudem kaum Rückzugsmöglichkeiten, kein soziales Netzwerk, beherrschen die Sprache des Ankunftslandes nicht und wissen nicht, wo sie Hilfe bekommen, dann erleichtert das Übergriffe zusätzlich. Das können schlagende Partner sein, übergriffige Mitbewohner, Wachmitarbeiter mit Generalschlüssel oder freiwillige Helfer, die sich an seelisch bedürftige Kinder heranmachen und sie sexuell missbrauchen.

Asylrecht versus Gewaltschutz

In der Öffentlichkeit macht das bisher kaum Schlagzeilen. Aber die Dunkelziffer dürfte hoch sein, und Fachfrauen in Beratungsstellen für Migrantinnen und in Frauenhäusern, das Deutsche Institut für Menschenrechte und der Unabhängige Beauftragte für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs schlagen Alarm. Schutzkonzepte sind dringend notwendig.

Dazu gehören geänderte bauliche Voraussetzungen: Trakte für allein reisende und alleinerziehende Frauen zum Beispiel. Das Land Hamburg etwa will in einem großen Lager jetzt Schutzzelte nur für Frauen aufstellen - solange bezahlbare Wohnungen Mangelware sind, immerhin eine Ad-hoc-Lösung. Dazu gehört aber auch, dass für die Betriebserlaubnis eines Flüchtlingsheims entsprechende Schutzkonzepte zur Auflage gemacht werden und dass die Behörde sie regelmäßig kontrolliert - genauso wie es für Heime der Behindertenhilfe und Kindertagesstätten vorgeschrieben ist.

Beate Hinrichs (Foto: Ikhlas Abbis)
DW-Redakteurin Beate HinrichsBild: Ikhlas Abbis

Mindestens ebenso wichtig sind rechtliche Weichenstellungen. Denn das komplizierte Asyl- und Ausländerrecht läuft den guten Schutzgesetzen, die wir haben, in vielen Fällen zuwider. Bei häuslicher Gewalt zum Beispiel kann die Polizei den Täter der Wohnung verweisen - was aber passiert, wenn der Mann der sogenannten Residenzpflicht unterliegt und die Unterkunft nur mit Erlaubnis der Behörde wechseln darf? Und was passiert, wenn eine Frau durch Übergriffe so gefährdet ist, dass sie Unterschlupf in einem Frauenhaus in einer anderen Stadt suchen muss, aber auch der Residenzpflicht unterliegt? Oder wenn ihr Aufenthaltsrecht an das des Mannes geknüpft ist und sie fürchtet abgeschoben zu werden, wenn sie ihn verlässt?

Verpflichtung zu Menschenrechten

Das sind nur einige aus einer ganzen Reihe komplexer Fragen, die sich bei jedem realen Gewaltfall, jeder Vergewaltigung und jedem sexualisierten Übergriff gegen Kinder neu stellen. Für die Antworten gibt es wenig Erfahrung, einen vagen Ermessensspielraum - und einen oft sehr, sehr langen Behördenweg, der eines ganz sicher nicht garantiert: schnelle Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder.

Diese Fragen müssen jetzt auf den Tisch - auch wenn viele Kommunen verständlicherweise momentan damit überfordert sind, die Neuankömmlinge überhaupt unterzubringen. Aber wie wir in Zukunft Flüchtlingsfrauen und -kinder unterbringen und versorgen, welche Standards wir festschreiben und wie wir Gebäude für sie bauen, wie sensibilisiert und qualifiziert Mitarbeiter sind, welche Unterstützungsangebote und Vertrauenspersonen in den Unterkünften vor Ort sind, welche Behörde für welchen Notfall zuständig ist - all das wird jetzt für die Zukunft entschieden.

Das ist übrigens keine Ermessenssache. Das ist unsere Pflicht - nicht nur moralisch. Denn Schutz vor geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt entspricht den Vorgaben internationaler Menschenrechtsvereinbarungen, die Deutschland unterschrieben hat.

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