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Siegesfeier mitten im Krieg

Roman Goncharenko9. Mai 2014

Russlands Präsident Wladimir Putin feiert auf der Krim den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland. In der Ukraine wird er mit Hitler verglichen. Der Siegestag am 9. Mai war noch nie so absurd, meint Roman Goncharenko.

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Roman Goncharenko (Foto: DW)
Bild: GMF/Roman Goncharenko

Vor 69 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Die Sowjetunion hatte zusammen mit den westlichen Alliierten Hitler-Deutschland besiegt. Russen und Ukrainer haben damals - und in den Jahrzehnten danach - zusammen den Siegestag am 9. Mai gefeiert. Heute sehen sich viele von ihnen als Feinde. Millionen Ukrainer fragen sich, ob es jetzt zu einem Krieg mit Russland kommt. Diese Vorstellung ist absurd und doch ist sie realistisch. Viele Ukrainer vergleichen den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Nazi-Diktator Adolf Hitler. Auch dieser Vergleich ist absurd und doch macht er nachdenklich. Besonders an so einem Tag.

Putin verwirklichte an diesem Tag seinen persönlichen Traum, der offenbar von vielen seiner Landsleute geteilt wird: die Wiedervergrößerung des russischen Reiches. Keine zwei Monate nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel ließ sich der Kremlchef in Sewastopol wie ein siegreicher Feldherr feiern. Es gab Kriegsschiffe, Kampfjets und sowjetische Marschmusik. Die Krim ist russisch, der Sieger heißt Putin, so die Botschaft. Sie richtet sich an die Ukraine, aber auch an den Westen: Schaut her, ihr könnt nichts dagegen tun. Provokation scheint Putin Spaß zu machen.

Drohende Abspaltung der Ostukraine

Doch was die Russen freut, ist für die Ukrainer der schlimmste Albtraum. Sie empfinden die russische Feierstimmung als ein absurdes Fest in den Zeiten der Pest. Denn die Ukraine erlebt möglicherweise ihre letzten Tage als Einheitsstaat. Nach der Krim könnten sich nun auch Teile des Ostens abspalten. Prorussische Separatisten in Gebieten Donezk und Luhansk bereiten für Sonntag, den 11.Mai, ein "Referendum" vor. Die Regierung in Kiew kann es nicht verhindern.

Auch am Siegesfeiertag wurde in der Ukraine gestorben. Bei Kämpfen zwischen Separatisten und ukrainischen Sicherheitskräften in der südukrainische Stadt Mariupol starben nach offiziellen Angaben mehr als 20 Menschen im Kugelhagel. Das hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben.

Der Krieg kehrt zurück

Viele Ukrainer erleben diesen Siegestag deshalb mit gemischten Gefühlen. Die meisten erinnern sich wie früher an ihre im Krieg gefallenen oder verwundeten Großväter. Neu ist, dass beim Anblick feiernder Russen nicht wenige traurig und manche wütend werden. Es will einem nicht in den Kopf, dass die Russen jetzt offenbar bereit sein könnten, ihre Waffen gegen die ehemaligen ukrainischen Waffenbrüder einzusetzen. Anders kann man die Erlaubnis des russischen Parlaments, in der Ukraine militärisch einzugreifen, nicht interpretieren.

Viele Ukrainer sind deshalb schockiert. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das, was meine Vorfahren im Zweiten Weltkrieg erlebt haben, selbst erleben könnte", so lautet ein typischer Satz in ukrainischen Küchen und in Cafés in diesen Tagen. Ob es wirklich zu einem massiven Truppeneinsatz zwischen Russland und der Ukraine kommt, ist noch unklar. Gestorben aber wird schon jetzt. Der Krieg kehrt zurück in die Ukraine. Diesmal aus dem Osten.

Roman Goncharenko ist gebürtiger Ukrainer und Redakteur in der Hauptabteilung Europa der Deutschen Welle.