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Politik

Steinmeiers Abgang kommt zur falschen Zeit

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
14. November 2016

Die EU braucht ihren erfahrensten Außenminister dringender, als Deutschland einen Präsidenten Steinmeier. Denn es ist kein guter Zeitpunkt, die Neulinge und Effekthascher in Europa allein zu lassen, meint Barbara Wesel.

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Frank-Walter Steinmeier PK in Brüssel 15.12.2014
Bild: DW/B. Riegert

Seine endlosen Schachtelsätze sind vielleicht nicht die beste Voraussetzung für einen volksnahen Präsidenten. Aber vielleicht kann sich Frank Walter Steinmeier die abwägende Diplomatensprache ja auch noch abgewöhnen. Klar ist, dass der deutsche Außenminister die moralische Integrität, die politische Erfahrung und die ausgleichende Vernunft hat, um ein gutes Staatsoberhaupt abzugeben. Doch warum die Suche nach einer geeigneten Frau einmal mehr scheiterte, ist kaum begreiflich -  aber das nur nebenbei.

Außenpolitik ist ein Geschäft für Profis

So wie Angela Merkel nach der Wahl von Donald Trump über Nacht zur Führerin der freien Welt aufrückte - die Betonung hier liegt auf "frei" - so ist Steinmeier der Doyen der europäischen Außenpolitik. Er ist der Dienstälteste unter seinen Kollegen, er bringt das politische Gewicht eines großen Mitgliedslandes ein und hat in Jahrzehnten enorme Erfahrung gesammelt. Denn dies an die Adresse aller Establishment-  und Elitenhasser: Politik ist ein Beruf, der viel Wissen und Erfahrung voraussetzt, Besonnenheit, eine ruhige Hand und starke Nerven. Sie ist kein Spielfeld für Amateure, die nur aus Größenwahn mal den Daumen am Drücker haben möchten, und das gilt ganz besonders für die Außenpolitik. 

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Frank-Walter Steinmeier ist ein Politiker, dem man in den großen Fragen von Krieg und Frieden trauen kann, auch wenn man ihn sich manchmal schon etwas leidenschaftlicher gewünscht hätte. Aber wahrscheinlich war seine Zurückhaltung klug. Jedenfalls braucht er keine Ego-Show und trifft keine Entscheidungen, für die er nicht gerade stehen kann - anders als der wetterwendische Schwätzer Boris Johnson, der nach dem Brexit-Referendum blitzschnell den Rückzug antrat, weil er die unabsehbaren Folgen nicht verantworten wollte.  

Steinmeier hat nach der US-Wahl vor der Unberechenbarkeit von Donald Trump gewarnt, auf der Basis des Wahlkampfes, den der Immobilienmogul geführt hatte. Er tat das als Europäer, der sich über die Erosion demokratischer Werte und die Zukunft der EU Sorgen macht. Johnson dagegen faselt von Chancen für Europa durch einen Präsidenten Trump, ohne konkret zu erklären, worin die denn liegen könnten. Wahrscheinlicher ist doch die Gefahr, dass uns der neue US-Präsident durch seine unausgegorene, protektionistische Wirtschafts- und Handelspolitik eine ganz massive  Krise bescheren könnte.

Wer hält künftig die EU-Außenpolitik zusammen?

Schon in sonnigeren Zeiten geht es in der europäischen Außenpolitik zu wie im Hühnerhaus. Immer reden alle durcheinander und die meisten in erster Linie für ihr Publikum daheim. Wenn Steinmeier geht, ist niemand mehr da, der den Laden zusammenhält, für ein Minimum an Gemeinsamkeit sorgt und die europäischen Werte im Blick behält. So schwingt etwa bei der Ministerrunde in Brüssel zum Thema Türkei und Europa gerade Sebastian Kurz das große Wort, der gern mit dem Populismus kokettierende Nachwuchsstar aus Österreich. Kurz hat immer einen feschen populistischen Spruch auf den Lippen und gibt einen guten Wahlkämpfer, was ihn zu einem eher schlechten Außenpolitiker macht. Und solche wie ihn gibt es viele: ältere und jüngere, aus kleinen und aus großen Ländern.

Und da helfen auch Spekulationen nicht, für die Nachfolge von Steinmeier stehe der Sozialdemokrat aus Würselen bereit, dessen weitere Zukunft an der Spitze des Europaparlaments gerade infrage steht. Martin Schulz hat sich zweifellos Verdienste erworben, weil er die Rechtspopulisten eingrenzen und die Handlungsfähigkeit des Parlamentes erhalten konnte. Aber außenpolitische Erfahrung im eigentlichen Sinn hat er keine. Wäre zum Beispiel Helga Schmid nicht eine bessere Alternative, die aus dem Auswärtigen Amt in Berlin zur Generalsekretärin der EU-Außenvertretung in Brüssel aufstieg? 

Die Lage ist (leider) wirklich ernst

Die Lage für Europa war in Jahrzehnten nicht so brisant wie derzeit. Der Aufstieg von Neofaschisten, Demagogen und Rechtspopulisten  ist eine akute Gefahr für unsere Zukunft, unseren Wohlstand und unsere Rechtsordnung. Und jetzt geht der außenpolitische Steuermann Europas von Bord, um zu Hause Grußworte zu sprechen und den Bundesbürgern Moral und Menschlichkeit zu predigen. Hätte sich dafür nicht noch ein weiterer Kirchenmann oder ein oberster Richter finden können? Denn in der europäischen Außenpolitik wird Frank Walter Steinmeier fehlen - sein Abgang kommt genau zum falschen Zeitpunkt. 

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