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Politik

Stimmenfang mit Schwulenhass

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Juri Rescheto
10. Juni 2020

Am 1. Juli wird das Volk zu einer Fülle von Änderungen der russischen Verfassung "befragt". Damit möglichst viele in die Wahllokale kommen, werden widerliche Ressentiments geschürt, stellt Juri Rescheto fest.

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Das Foto mit dem geschminkten Putin entstand 2013 als Protest gegen Anti-Schwulen-Gesetz in Russland. Es wird seither regelmäßig bei LGBT-Demos gezeigt, wie hier in Berlin vor der Russischen Botschaft am 8. April 2017
Das Foto mit dem geschminkten Putin entstand 2013 als Protest gegen Anti-Schwulen-Gesetz in RusslandBild: picture-alliance/Zuma Press/J. Scheunert

Petja ist wichtig. Petja ist ein Held. Petja soll Wladimir Putin helfen, an der Macht zu bleiben. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei ist Petja noch ein Kind. Ein kleines Kind, das die Hauptrolle in einem homophoben Video spielt, über das zurzeit in Russland gestritten wird. Die einen finden es witzig, die anderen doof. Und den dritten bleibt das Lachen im Hals stecken.

Der Plot ist einfach: Der Waisenjunge Petja wartet fröhlich in einem Kinderheim auf seine neue Mutter. Doch statt einer Frau wartet draußen eine stark geschminkte Tunte auf das Kind. Petja ist traurig. Aus dem Off ist zu hören: "Wirst du dich für ein solches Russland entscheiden? Entscheide über die Zukunft des Landes und stimme für die Verfassungsänderungen!" Im Umkehrschluss also: Wenn du jetzt nicht für die Änderungen im Grundgesetz stimmst, können demnächst Schwule in Russland Kinder adoptieren. Arme Kinder wie Petja.

Es geht darum, wie lange Putin Präsident bleiben darf

Zugegeben: Es ist nicht das einzige Werbevideo für das landesweite Referendum, das zurzeit in den russischen Medien kursiert. Aber es ist das, welches besonders stark polarisiert.

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Juri Rescheto leitet das DW-Studio Moskau

Ausgerechnet mit einem Stück homophober Propaganda der Nachrichtenagentur "FAN" und der Mediengruppe "Patriot" werden die Russen aufgerufen, über den künftigen Kurs ihres Landes zu entscheiden. Über weitreichende Verfassungsreformen, die etwa Präsident Wladimir Putin die Möglichkeit geben, bei der nächsten Wahl abermals anzutreten. Aber eben auch über die Festschreibung, dass die Ehe zwischen Mann und Frau die einzig legitime Basis für eine gesunde russische Familie sei. Anders als in den westeuropäischen Staaten, wo Homosexuelle inzwischen heiraten dürfen und den heterosexuellen Ehepaaren rechtlich weitgehend gleichgestellt sind.

Statt für ein tolerantes, offenes Russland für alle wird also für ein rückwärtsgewandes, europafeindliches Russland mit Homophobie geworben. Neu ist das nicht. Seit 2013 gilt in Russland das sogenannte Anti-Schwulen-Gesetz. Es verbietet angebliche "Propaganda der Homosexualität" und bestraft zum Beispiel jene, die sich in Anwesenheit von Minderjährigen positiv über Schwule und Lesben äußern. Damit werde Homophobie in Russland staatlich gefördert, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2017.

Für ein anderes Russland der Zukunft

Aber es finden sich auch diesem heutigen Russland Menschen, die anders denken. Unter dem Hashtag #DaVyberu, also "Ja, ich stimme dafür" wird in den Sozialen Medien gegen das Hetzvideo protestiert. Mit Zeichnungen und Cartoons, die einen fröhlichen Petja mit zwei Vätern zeigen und für ein anderes Russland der Zukunft werben. Dem patriotischen Skandal-Video und dem berüchtigten Anti-Schwulen-Gesetz zum Trotz. Ein schwacher Trost für Homosexuelle, die in diesem Land weiterhin schutzlos sind.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga