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Politik

Strafe für Deutschland

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
8. Juni 2020

"Die alte Bundesrepublik war ein Staat ohne Außenpolitik", hat der frühere US-Außenminister Henry Kissinger einmal gesagt. Donald Trump trauert diesen Zeiten ganz offensichtlich nach, meint Miodrag Soric.

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USA | Washington DC -  Trumps Königreich
Bild: imago images/ZUMA Wire/D. Mills

Darf Deutschland eigene Interessen haben und diese verfolgen? Die Antwort aus Washington scheint eindeutig zu sein: nur mit dem Segen der US-Regierung! Sie droht europäischen Unternehmen, die sich an der Fertigstellung der bereits zu 96 Prozent errichteten Nord Stream 2-Pipeline beteiligen, mit Sanktionen. Zur Erinnerung: Die Pipeline soll unter Umgehung aller anderen Staaten auf dem Boden der Ostsee Erdgas aus Russland nach Deutschland und von dort weiter in andere EU-Länder transportieren.

Deutschland lebt vom Export. Seine Industrie braucht Energiesicherheit. Deshalb unterstützen Wirtschaft und die Bundesregierung den Bau der Pipeline. Sie versucht aber auch Vorbehalte gegen dieses Projekt - vor allem solche aus Polen oder der Ukraine - in ihre Politik mit einfließen zu lassen.

Ein Botschafter als Scharfmacher

Doch das alles ficht das Weiße Haus nicht an. Präsident Trump will die Pipeline mit allen Mitteln verhindern. Einer seiner Scharfmacher ist der bisherige US-Botschafter in Berlin Richard Grenell. Inzwischen hat der wenig diplomatische Diplomat tatsächlich einen sinnvollen Beitrag zu den bilateralen Beziehungen geleistet: Er hat sein Amt zum 1. Juni niedergelegt und Deutschland verlassen.

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Miodrag Soric leitete acht Jahre lang das DW-Studio Washington. Heute ist er Chefkorrespondent

Ein anderer, lautstarker Agitator gegen die Pipeline ist Ted Cruz, ultrarechter republikanischer Senator aus Texas. Ein Mann, den einige Parteifreunde den "leibhaftigen Teufel" nennen. Andere meinen: Läge Cruz schwer verletzt im Kongress, niemand riefe den Notarzt. Ted Cruz wird seit Jahren von der amerikanischen Fracking-Industrie gesponsert. Diese will ihr Gas in Europa verkaufen. Ihr Problem: Das technisch mit hohem Aufwand geförderte amerikanische Gas ist teurer als das russische. Washington - wer hätte das von dem einstigen Verfechter der freien Marktwirtschaft gedacht? - scheut also den Wettbewerb. Einfacher ist es den Sanktionsknüppel zu schwingen. Eine Politik, die Trump "America first" nennt. Dabei nimmt er in Kauf, die Beziehungen zu einem der treuesten Verbündeten zu beschädigen.

Öffentlich lobt er zwar Kanzlerin Merkel. Doch verbreiten Medien und Regierungsvertreter gleichermaßen, dass es bei ihren Gesprächen heftig zugeht. Nun ist die Kanzlerin von einem anderen Holz geschnitzt als ein montenegrinischer Regierungschef, den der US-Präsident einfach zur Seite schiebt, wenn er im Weg steht oder stört. Bei Merkel geht das nicht. Sie lässt sich auch nicht einschüchtern. Was Trump sehr zu ärgern scheint.

Abzug fast eines Drittels der US-Soldaten

Jetzt will er sie für ihre Unbotmäßigkeit bestrafen und noch in diesem Jahr knapp 10.000 US-Soldaten aus Deutschland abziehen. Die Masse der Deutschen bewegt das kaum, solange sich das Land keiner militärischen Bedrohung von außen ausgesetzt sieht. Kritisiert man doch schon seit Jahren am liebsten die Lärm- und Umweltbelastung durch die US-Truppen. Echte Angst vor dem Abzug haben allein Oberbürgermeister und Wirtschaftsvertreter an den amerikanischen Standorten. Vor allem aber sind die Amerikaner jedoch in Deutschland präsent, weil dies in ihrem eigenen Interesse (die kompletten Irak- und Afghanistan-Einsätze werden von hier aus gesteuert) und dem der NATO liegt. Zieht Trump nun ein größeres Kontingent ab, schadet er sich vor allem selbst und entfremdet die USA noch weiter von Europa.

Der lachende Dritte wird China sein. Jede Auseinandersetzung innerhalb des Westens stärkt Pekings Position gegenüber Washington. So wie sich die Amerikaner derzeit verhalten, können sie im Handelsstreit mit China kaum auf die Hilfe der EU zählen. Im Gegenteil. Berlin übernimmt ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Kanzlerin Merkel hält am Plan eines Treffens aller EU-Staats- und Regierungschefs mit Präsident Xi Jinping weiterhin fest - auch wenn der ursprüngliche Termin Mitte September wegen der Corona-Pandemie inzwischen abgesagt werden musste. Unmittelbar vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen wäre ein solcher Termin natürlich eine diplomatische Provokation. Trump wäre ja nicht eingeladen. Als Beobachter könnte er dazu nur twittern.

Hoffen auf den 3. November

Sollte seine Administration im November abgewählt werden, dürften sich die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland schnell wieder normalisieren. Der demokratische Herausforderer Joe Biden versteht, dass auch Deutschland eigene Interessen haben und diese verfolgen darf.