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Kommentar: Terror vergiftet das Denken

23. Juli 2011

Terror ist verabscheuungswürdig - ganz gleich, von wem er ausgeübt wird. Verabscheuungswürdig wegen der Opfer - aber auch, weil der Terror unser Denken so massiv vergiftet, meint Felix Steiner.

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Bild: DW

Terror in dieser Dimension macht fassungslos - ganz gleich, ob er von Rechten oder Linken, von Fundamentalisten der einen oder der anderen Religion, von organisierten Gruppen oder irren Einzeltätern ausgeübt wird. Und für ein Terroropfer ist schlicht irrelevant, für welche Idee oder in wessen Namen es sein Leben lassen musste oder verletzt wurde. Denn Terroropfer sind unschuldig. Und genau deswegen ist Terror so verabscheuungswürdig - ganz gleich, von wem er ausgeübt wird.

Felix Steiner (Foto: DW)
Felix SteinerBild: DW

Terror wird auch dadurch zum Terror, weil er weit über die unmittelbar betroffenen Opfer wirkt. Denn Terror macht Angst: Ist meine Stadt, mein Flugzeug, die Veranstaltung, die ich besuchen möchte, vielleicht das nächste Ziel? Vor allem Politiker fordern immer wieder, aus Angst vor Terror dürften wir auf keinen Fall unser Verhalten ändern. Denn sonst hätte der Terror bereits gesiegt. Das ist richtig.

Doch Terror macht noch viel mehr Angst: Angst vor den möglichen Tätern. Ist mein Nachbar oder der Mann neben mir in der U-Bahn vielleicht gefährlich - weil er einen Bart oder eine bestimmte Kleidung trägt, Muslim ist oder einfach nur fremd aussieht? Deutlich wird: Terror vergiftet das Denken. Denn Ängste erzeugen Vorurteile, extreme Ängste sogar Phobien. Soweit darf es in freien, demokratischen Gesellschaften nicht kommen.

Vorschnelle Schlüsse so genannter "Terrorexperten"

Wie schon die jüngsten beeindruckenden Wahlerfolge von fremden- und islamfeindlichen Parteien in vielen europäischen Ländern, zeigten auch die ersten Stunden nach den Anschlägen in Norwegen, wie vergiftet das Denken in Europa bereits ist. Es passte ja alles so schön ins Bild: Norwegen stellt ein Truppenkontingent in Afghanistan und beteiligt sich auch den Luftangriffen der NATO auf Libyen. Da konnte für die Bombe in Oslos Regierungsviertel natürlich nur ein Muslim in Frage kommen. Zweieinhalb Stunden später dann die Schüsse im Jugendcamp - die Schlussfolgerung war klar: War es nicht stets ein Markenzeichen von Al Kaida, nahezu zeitgleich an mehreren Orten zu morden?

Auch die nächsten Nachrichten brachten die Terrorexperten im deutschen Fernsehen nicht ins Wanken. Der inzwischen Verhaftete habe die norwegische Staatsbürgerschaft? Die haben viele muslimische Immigranten inzwischen angenommen! Der Verhaftete sei blond und blauäugig? Dann handele es sich wohl um einen zum Islam konvertierten Einheimischen. Konvertiten sind ja immer besonders radikale Anhänger ihres neuen Glaubens - in Deutschland weiß man das spätestens seit der Entdeckung der so genannten "Sauerland-Gruppe" vor vier Jahren. Was wohl die friedlich in Deutschland lebenden Muslime empfanden angesichts solcher Statements im deutschen Fernsehen? Sich an einem solchen Abend nicht angenommen, sondern ausgegrenzt zu fühlen, kann ihnen niemand übel nehmen. Auch solche Momente können das Denken vergiften.

Inzwischen wissen wir: Der festgenommene Mann ist definitiv kein Muslim, vielmehr ein radikaler Christ. Für alle weiteren Schlussfolgerungen ist es noch viel zu früh. Sicher ist nur: Terror ist verabscheuungswürdig. Vor allem wegen der Opfer. Aber eben auch, weil er das Denken so massiv vergiftet.

Autor: Felix Steiner
Redaktion: Pia Gram