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Politik

Tschüss Winterzeit - und danke für nichts!

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen
27. Oktober 2018

Am Sonntagmorgen werden in fast ganz Europa die Uhren wieder eine Stunde zurückgestellt. Es könnte die letzte Winterzeit sein. Schade wäre es nicht darum, meint DW-Redakteur Ralf Bosen.

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Düsseldorf Zeitfeld
Bild: Imago/Revierfoto

Die Zeichen sind untrüglich: missmutig gelaunte Kellner räumen vor den Cafes Stühle und Tische weg, Nachbarn kehren das Laub zusammen und verstauen ihre Sonnenliegen im Keller. Es ist wieder soweit - noch ist der Herbstblues nicht überstanden, schon steht der Winteranfang bevor und damit das halbjährliche, nervenzehrende Ritual namens Zeitumstellung. Das Diktat der Sommerzeit endet, es übernimmt die Winterzeit: Eine Stunde länger schlafen, mehr Licht am Morgen, dafür ein früherer Sonnenuntergang.

In der Nacht zum Sonntag drehen fast alle in Europa an der Uhr und vor allem die Deutschen ein bisschen auch durch. Dann springen wir um drei Uhr nachts nochmals zurück auf zwei Uhr. Und wieder diskutiert die Öffentlichkeit hierzulande über Sinn und Unsinn dieser Aktion. Diesmal aber noch heftiger und kontroverser als sonst, denn: Der Zeitumstellung könnte die letzte Stunde schlagen. So sehen es die EU-Kommission und mehr als 80 Prozent der von ihr in einer europaweiten Studie befragten Bürger - zwei Drittel von ihnen waren schließlich Deutsche.

Wirtschaftsminister will dauerhafte Sommerzeit

Die Brüsseler Behörde will die seit 38 Jahren andauernde Zeitreise beenden und dringt darauf, die Umstellung schon im kommenden Jahr abzuschaffen. Dann soll jedes Land selbst entscheiden, nach welchem Rhythmus es leben will - dauerhafte Sommer- oder Winterzeit, die eigentliche Normalzeit. Beschlossen ist allerdings noch nichts, Europaparlament und EU-Mitgliedsstaaten müssen noch zustimmen. Die Zeichen der Zeit aber sprechen für die Abschaffung. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier jedenfalls macht sich schon mal für eine dauerhafte Sommerzeit stark. Die Rückendeckung von Bundeskanzlerin Merkel dürfte ihm sicher sein.

Damit könnte die jetzt beginnende Winterzeit-Umstellung auch die letzte sein. Und das ist gut so. Egal ob Sommer- oder Winterzeit, man sollte sich auf eine durchgehende Zeitrechnung einigen. Denn was hat das ständige Drehen an der Uhr gebracht? Nichts! Die vermeintlichen Vorteile der Energie-Ersparnis durch die Sommerzeit? Sind nie eingetreten, sagen wissenschaftliche Untersuchungen. Dafür aber Stress für den Körper en masse: Hormonproduktion, Stoffwechsel und Gehirntätigkeit laufen durch den Mini-Jetlag zeitweise aus dem Ruder. Ein Gift besonders für diejenigen, die im Schichtdienst arbeiten oder besonders früh aufstehen müssen. Alles nur für ein temporäres Gaga.

Gegen eine unsoziale Gesellschaft

Zwar sagen Experten, innerhalb von drei Tagen sei für einen gesunden Menschen jede Umstellung zu schaffen. Die Betonung liegt auf "gesunden". Was aber ist mit den Kranken, den Alten oder den Eltern von Kleinkindern, die ihren ganz eigenen Bio-Rhythmus haben? Ist deren Befindlichkeit egal? Das sollte nicht sein. Eine Gesellschaft, die sich nur nach den Gesunden, nach den Starken ausrichtet, ist eine kalte, eine unsoziale Gemeinschaft.

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DW-Redakteur Ralf Bosen

Profitiert haben nur zum Teil dubiose Ratgeber-Magazine und -Sendungen, die mit wohlfeilen Tipps zur Zeitumstellung nur so um sich werfen. Eine kleine Auswahl: Zur Winterzeitumstellung soll man möglichst ab Mittags keinen Kaffee trinken, einen Abendspaziergang machen, Stress vermeiden, für die Konzentration viel Obst und Nüsse knabbern und so weiter und so fort. Ratschläge also, die das ganze Jahr über gelten.

Nun kann man den Ärger um die Zeit-Umstellung als Luxus-Problem betrachten und sich fragen, ob Deutschland angesichts von Katastrophen, Kriegen und Hungersnöten in der Welt nicht wichtigeres zu tun habe, als sich über eine läppische Stunde Zeitunterschied aufzuregen? Sicher, hier geht es nicht um Existenzielles. Aber wer diesem Killer-Argument folgt, darf sich vieler Probleme nicht mehr annehmen.

Hitler förderte Zeitumstellung

Ein Blick in die Geschichte der Zeitumstellung leistet übrigens Entscheidungshilfe. Erstmals umgesetzt hat die Idee der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. Während in den blutigen Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs die Soldaten zu Millionen hingemetzelt wurden und den deutschen Rüstungsfabriken der Brennstoff ausging, ließ er am 30. April 1916 die Uhren auf Sommerzeit vorstellen, um für die Fortsetzung des Krieges Energie zu sparen. Die deutschen Kriegsgegner Großbritannien und Frankreich zogen noch im gleichen Jahr nach. 1919 wurde die schon damals unbeliebte Sommerzeit aber wieder abgeschafft.

Die Nazis unter Adolf Hitler führten sie 1940 im Zweiten Weltkrieg aus dem gleichen Grund wieder ein. 1949 wurde auch dieses Experiment beendet. 1980 - während der zweiten Ölkrise - wurde die sommerliche Zeitumstellung in beiden Staaten des geteilten Deutschlands wiederbelebt, seit 1996 gilt sie einheitlich in allen Ländern der EU. Fassen wir das Wesentliche zusammen: Ein irrlichternder Kaiser und ein größenwahnsinniger Diktator, die für zwei Weltkriege verantwortlich sind, haben für genau diese Kriege an der Uhr gedreht. Allein deswegen heißt es für mich, die Zeitumstellung kann gerne das zeitliche segnen. Insofern sage ich schon mal: Tschüss Winterzeit, tschüss Sommerzeit - und danke für nichts!

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur