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Türkei-Krise: Gefahr für Europas Wirtschaft

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Henrik Böhme
13. August 2018

Die Investoren verlieren das Vertrauen: In den einstigen Wirtschaftsreformer Erdogan. Die Krise am Bosporus könnte ihn das Amt kosten. Doch sie könnte auch Europas Wirtschaft treffen, meint Henrik Böhme.

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Türkei Wechselstube in Istanbul
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Yapici

Machen wir uns nichts vor: Natürlich hat der Internationale Währungsfonds (IWF) längst einen Krisenplan für die Türkei in der Schublade. Aber natürlich wird das niemand bestätigen. Schon einmal, im Jahr 2002, war das so. Die Türkei war ein instabiles Land, die Inflation lag bei 40 Prozent und die Arbeitslosigkeit war extrem hoch. Nur mit Krediten des IWF konnte damals eine Staatspleite verhindert werden. In jenem Jahr war auch Erdogans Partei, die AKP, an die Macht gekommen. Die Auflagen, die der IWF jedem Land macht, das von ihm Geld bekommt, wurden von der damaligen Regierung und deren Ministerpräsidenten erfolgreich umgesetzt. Der Premier hieß damals: Recep Tayyip Erdogan. 

In der Folge entwickelte sich die türkische Wirtschaft prächtig, es wurden viele neue Jobs geschaffen, die Inflation rutschte unter zehn Prozent, die Türkei wurde ein interessanter Standort für ausländische Investoren. Auch deutsche Unternehmen engagieren sich seither massiv. Die Menschen verdienten wieder gutes Geld, sie jubelten Erdogan zu. Er hatte ihnen einen neuen Wohlstand gebracht - und dem Land politische Stabilität. Und man erinnert sich: Als die Eurokrise losbrach und Griechenland drohte unterzugehen, da wurde die Türkei immer als Vorbild angeführt, wie man es schafft, sich aus einer schier ausweglosen Situation heraus zu manövrieren. Doch das alles scheint nun in Gefahr.

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Wenn der Wind sich dreht

Die an diesem Montag in Kraft tretenden US-Sanktionen auf Stahl und Aluminium aus der Türkei waren nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn die Krise, sie frisst sich schon seit Monaten in die Wirtschaft des Landes. Die türkische Lira hat seit Jahresbeginn mehr als die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Die Inflation liegt inzwischen wieder über 15 Prozent. Das alles werden die Menschen in der Türkei früher oder später zu spüren bekommen. Sie, die ihrem Reformer Erdogan einst zugejubelt haben, weil er ihnen mehr Wohlstand gebracht hat, sie werden sich von ihm abwenden, wenn sie ihre Jobs verlieren oder sich ihren Lebensstandard nicht mehr leisten können.

Der türkische Präsident, der sein Land durch seine autokratische Politik in diese Lage gebracht hat, sieht die Schuld freilich bei anderen. Die Waffen in diesem Krieg seien "Dollar, Euro oder das Gold", sagte Erdogan wiederholt, zuletzt erst an diesem Wochenende. Dass er aber die Unabhängigkeit der Notenbank wieder und wieder in Frage stellt - ein Umstand, der Investoren immer verschreckt -, dass er entgegen der gängigen Wirtschaftstheorie behauptet, man müsse die Zinsen senken, um die Inflation zu bekämpfen und die Währung zu stärken: All das führt bei Anlegern und "an den Märkten" zu einem zunehmenden Vertrauensverlust. Das Resultat ist nun zu besichtigen: Eine massive Kapitalflucht hat eingesetzt, deren Wucht auch die Währungen anderer Schwellenländer mit in dem Strudel zieht.

Und die Türken selbst, vom Präsidenten aufgefordert, ihre Dollar und Euro in Lira umzutauschen, tun genau das Gegenteil: Sie holen sich ihre Devisen lieber von der Bank nach Hause.

(Noch) kein Grund zur Panik

Natürlich geht nun in Europa die Angst vor einer Ansteckung um. Denn Anleger scheren sich nur um eines: Um ihr Geld. Die Kapitalflucht, der Währungsverfall: Das nährt zu Recht die Sorge, dass türkische Unternehmen und Banken ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Noch aber scheint die Lage beherrschbar: Nach aktuellen Zahlen, erhoben von der niederländischen Bank ABN Amro, summieren sich die Forderungen europäischer Banken auf 143 Milliarden Euro. Vor allem betroffen die spanische BBVA und Italiens Unicredit. Deutschlands Banken haben vergleichsweise überschaubare 18 bis 20 Milliarden Euro im Feuer.

Freilich kann niemandem an einem massiven Wirtschaftseinbruch in der Türkei gelegen sein. Aber es muss auch nicht die Angst umgehen in Europa. Die Volkswirtschaften in der Euro-Zone sind mittlerweile wieder in einem stabilen Zustand, die einige Erschütterungen, auch aus Richtung Bosporus, aushalten können. Freilich käme eine türkische Rezession zu all den anderen Unsicherheitsfaktoren hinzu: Als da wären: der nach wie vor unklare Brexit und die unberechenbare (Handels-) Politik von US-Präsident Donald Trump. Allerdings liegt es allein am türkischen Präsidenten, die Wirtschaft seines Landes wieder in die Spur zu bringen. Dass er es kann, hat er schon einmal bewiesen.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58