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Politik

Und wieder einmal stirbt der Wald

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Felix Steiner
1. August 2019

Der zweite trockene Sommer in Folge setzt dem Wald zu - vielerorts sind bereits abgestorbene Bäume zu sehen. Der Begriff "Waldsterben" ist dennoch eine Übertreibung. Das Kernproblem ist ein anderes, meint Felix Steiner.

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Angst - Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte | Waldsterben
Das "Waldsterben" der 1980er-Jahre war bereits Thema im Haus der Geschichte in BonnBild: DW/S. Dege

Die Bundeslandwirtschaftsministerin schlägt Alarm. "Wenn der Wald wankt" ist ihr Gastbeitrag in der Donnerstagsausgabe der bundesweit erscheinenden Tageszeitung "Die Welt" überschrieben. Die Situation des deutschen Waldes ist dramatisch, so der Tenor des Artikels.

Die etwas Älteren erinnert dieser Alarmismus an die frühen 1980er-Jahre: Schon damals sagten Apokalyptiker dem deutschen Wald sein Ende bis spätestens 2010 voraus. Die deutsche Post erfreute die Briefmarkensammler 1985 mit einer Sondermarke "Rettet den Wald", auf der eine große Uhr drei Minuten vor zwölf zeigte. Und "Waldsterben" wurde zum international verwendeten Begriff.

Immer die gleichen Bilder

Der deutsche Wald steht immer noch. Was zum einen daran liegt, dass die Lage nie so dramatisch war wie seinerzeit dargestellt. Die damals gezeigten Bilder von Berghängen, an denen nur noch totes Holz stand, stammten allein von wenigen Ecken im Harz und Erzgebirge - die allesamt nahe bei Braunkohlekraftwerken lagen.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Weshalb man zum anderen die damalige Schadensursache, den sogenannten "sauren Regen", recht erfolgreich bekämpfen konnte. Rauchgasentschwefelung in Kraftwerken, Abgaskatalysatoren für benzingetriebene Autos, immer engere Grenzwerte für Heizungsanlagen in Häusern - all das wurde seinerzeit politisch schnell auf den Weg gebracht. Die Deutschen und der Wald - das ist traditionell eine emotional enge Beziehung. An der auch die damalige Regierung aus Christdemokraten und Liberalen unter Helmut Kohl nicht vorbei kam.

Bei den aktuellen Problemen des Waldes wird es mit der Ursachenbekämpfung deutlich schwerer. Denn momentan leiden die Bäume vor allem unter der extremen Trockenheit bereits im zweiten Jahr hintereinander. Aber mehr Regen kann die Bundesregierung eben nicht beschließen - selbst wenn die Kanzlerin eine Grüne wäre.

Der Begriff "Waldsterben" bleibt falsch

Doch der in den deutschen Medien in diesen Tagen bereits wieder inflationär gebrauchte Begriff "Waldsterben" bleibt so falsch, wie er schon vor 35 Jahren war. Der Blick auf nur wenige Zahlen zeigt das: Nur weniger als ein Prozent der Waldfläche ist gegenwärtig kahl, weil Stürme die Bäume umgeworfen oder Schädlinge und Trockenheit sie haben absterben lassen. Und die Menge dieses anfallenden "Schadholzes" ist zwar signifikant höher als in früheren Jahren, umfasst aber immer noch nur ein Drittel dessen, was normalerweise in zwölf Monaten geschlagen wird.

Das macht deutlich: Die Probleme des Waldes sind in erster Linie Probleme der Waldbesitzer. Denn Schadholz erzielt auf dem Markt natürlich geringere Erlöse als gesundes Holz. Und vorzeitige Wiederaufforstung kostet viel Geld - vor allem in trockenen Sommern, wenn die jungen Pflanzen gegossen werden müssen, sollen sie nicht gleich wieder verdorren. Das wichtigste aber ist: Die größten Schäden (sowohl was Windbruch als auch den gefräßigen Borkenkäfer infolge der Trockenheit angeht) treten bei den Fichten auf - dem wirtschaftlichen Rückgrat der deutschen Waldbesitzer.

Von "Holzfeldern" zurück zum Wald

Die wenigsten Wälder im heutigen Deutschland sind naturnahe "Urwälder". Der deutsche Wald - zur Hälfte in privater Hand, zur Hälfte im Besitz von Bundesländern und Kommunen - ist im Regelfall Wirtschaftsfläche, die Gewinn abwerfen soll. Was erklärt, weshalb in Deutschland so viele der schnell wachsenden Fichten stehen und überhaupt die meisten Wälder unnatürliche Monokulturen sind. Anbauflächen für Nutzholz - "Holzfelder" - eben.

Genau hier liegt die Herausforderung für die Zukunft: Natürlicher Mischwald ist viel unempfindlicher - gegen Schädlinge genauso wie gegen Wetterextreme. Seine Funktion als Erholungsort für die Menschen und als unentbehrlicher Speicher für Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ist die gleiche. Nur eines kann er nicht: Die gleiche Rendite erwirtschaften wie die bisherigen Wälder.

Und so könnte es kommen, wie es immer kommt, wenn eine Aufgabe erledigt werden muss, die sich für niemanden rechnet: Der Staat muss es machen. Oder er greift denen unter die Arme, die es trotzdem machen. Denn unstrittig ist: Der deutsche Wald muss weiterleben.