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Ungesunde Tomaten? Hatten wir schon!

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Juri Rescheto
2. Dezember 2015

Russland plant, Waren aus der Türkei zu verbieten - als Strafe für den Abschuss des russischen Militärjets. Betroffen sind vor allem Lebensmittel. Damit trifft man jedoch die eigene Bevölkerung, meint Juri Rescheto.

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Aschan Markt in Moskau
Bild: DW/E. Winogradow

Die Nachricht des Tages kam aus der Duma: Lukum, die süßeste Versuchung seit es osmanische Küche gibt, soll vom Speiseplan der russischen Parlaments-Kantine verschwinden. Für immer. Für immer?

Vorauseilender Gehorsam

Wie schmerzlich die Volksknechte (so nennt man die russischen Abgeordneten umgangssprachlich) ihr Lukum vermissen werden, lässt sich nur schwer abschätzen: Die Süßspeise ist wegen ihrer Süße ja nicht jedermanns Geschmack. Anderen Bevölkerungsschichten dagegen werden bald andere, weitaus wichtigere Lebensmittel vom Teller genommen, weil sie plötzlich als feindlich gelten: Tomaten, Orangen und Fleisch. Und das dürfte ein harter Einschnitt im Alltag der Russen sein.

Wladimir Putins Erlass, türkische Waren vom 1. Januar 2016 an zu ächten, soll noch mit entsprechenden Gesetzen der Duma untermauert werden. Wie schnell das geschehen kann, zeigt allerdings heute schon das Schicksal von Lukum. In vorauseilendem Gehorsam werden übrigens auch andere Lebensmittel "made in turkey" verbannt: Ganze LKW-Kolonnen werden gegenwärtig an der weißrussischen Grenze festgehalten, andere Produkte aus der Türkei gleich für krankheitserregend erklärt.

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Juri Rescheto ist DW-Korrespondent in Moskau

Nicht ungesund, nur politisch unkorrekt

Wie bitte? Türkische Fleischtomaten sind ungesund? Das glaubt hier niemand. Denn das Deklarieren von politisch unkorrekten Lebensmitteln als gesundheitsschädigend ist in Russland zur Tradition geworden. Der Krieg gegen Georgien fegte einst den beliebten Sprudel "Borzomi" weg, dem Ukraine-Konflikt haben die Russen das Verschwinden von "Roshen"-Konfekt zu verdanken. Fatalerweise werden die leckeren Pralinen in den Fabriken des in Russland verhassten ukrainischen Präsidenten Poroschenko hergestellt.

Und nun? Klar dürfte das russische Embargo die türkische Agrarwirtschaft hart treffen - galt doch gerade die Türkei als Profiteur der Gegensanktionen, mit denen Russland EU-Produkte von seinem Markt verbannte. Klar muss Russland auch irgendwie reagieren und kann den Abschuss seiner Militärmaschine nicht ungestraft lassen, wenn nachgewiesen wird, dass das nicht rechtens war. Und natürlich ist ein Handelskrieg besser als ein echter Krieg. Aber warum müssen am Ende ausgerechnet einfache russische Bürger die Zeche zahlen? Das versteht hier niemand. Denn genauso klar ist auch, dass die Preise demnächst in die Höhe schießen und damit breite Schichten des russischen Volkes weiter verarmen.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga