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Politik

Verlorene Unschuld in Spanien

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
29. April 2019

Die Sozialisten haben zwar die Wahl gewonnen, die eigentliche Wende ist aber der Einzug der Rechtspopulisten (Vox) ins spanische Parlament, meint Bernd Riegert.

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Anhänger der rechtsextremen Vox-Parteien feiern in Madrid den Wahlerfolg in Spanien
Bild: picture-alliance/J. Carlos Rojas

Die Antwort der spanischen Wähler auf die separatistischen Bestrebungen in der reichen Region Katalonien ist ein neu erstarkender spanischer Nationalismus. Wer sich stur und illegal abspalten will, so wie die katalanische Regierung es wollte, der wird hart gemaßregelt. Das ist die Antwort, die von allen großen Parteien gegeben wird, inzwischen auch von den Sozialisten.

Unter dem Druck des neuen Nationalismus hat sich der sozialistische Ministerpräsident vehement gegen eine katalanische Unabhängigkeit ausgesprochen. Als "Verräter" oder "vaterlandloser Geselle" zu gelten, kann sich auch Pedro Sanchez nicht leisten. Begriffe wie "Einheit der Nation", "Vaterland" und "nationale Größe" haben die Wahlentscheidung vieler Menschen bestimmt. Abgrenzung nach innen und vielleicht auch bald nach außen.

Spanien liegt leider im Trend

Von der emotionalen Debatte hat am meisten die rechtspopulistische "Vox" profitiert. Sie bedient mit ihrer Protesthaltung gegen Separatismus, Frauenrechte, Migration, gesellschaftliche Toleranz und Offenheit ein tief sitzendes Bedürfnis so mancher Spanier, vielleicht auch einiger Spanierinnen. Man sehnt sich zurück nach guten alten, vermeintlich stabilen und sicheren Zeiten. Der Diktator Franco oder die skrupellosen Eroberer Lateinamerikas waren rückblickend diejenigen, die Spanien "groß" gemacht haben, meinen die "Vox"-Anhänger allen Ernstes.

Noch liegt die Partei bei nur 10 Prozent, aber wie in anderen europäischen Staaten kann dieser rechte Sumpf wachsen und irgendwann zur zentralen politischen Bewegung wie in Polen, Ungarn, Italien oder Österreich werden. Der Trend ist schon lange da, die Wahl beweist, dass er jetzt auch in Spanien Fuß gefasst hat. Die Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai werden wohl zeigen, dass dieses Phänomen des neuen Nationalismus – aus unterschiedlichen Gründen – die meisten EU-Staaten in unterschiedlicher Stärke erreicht hat.

Ein tief gespaltenes Land

Spanien bleibt nach dieser Wahl tief gespalten. Politische Stabilität ist nicht in Sicht. Die Christdemokraten, von denen sich die VOX-Rechten abgespalten haben, driften ebenfalls nach rechts und schrumpfen dabei dramatisch. Die Liberalen sind unentschieden. Im linken Lager gibt es keine regierungsfähige Mehrheit, die nicht auf separatistische Regionalparteien angewiesen wäre.

Durch Wirtschaftskrise und Katalonien-Krise erschüttert, bräuchte Spanien eigentlich klare Führung, um dringende Reformen durchzuführen. Die Rentenkasse muss vor der Pleite bewahrt werden, Ausbildungssystem und Infrastruktur brauchen Investitionen, die Abwanderung  junger Talente muss gestoppt werden. Die Verschuldung muss weiter eingedämmt werden. All das bleibt liegen, solange sich in Madrid die politischen Lager nur mit sich selbst beschäftigen.

Das Feindbild "Brüssel" bietet sich an

Zwar wächst die Wirtschaft noch solide, aber die Arbeitslosigkeit ist zu hoch. Auf Dauer wird Spanien so nicht über die Runden kommen. Noch stehen die allermeisten Spanier zur Europäischen Union und erkennen welchen Wert, die Mitgliedschaft in der EU hat. Aber das könnte sich ändern, wenn die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert, die Banken wieder kriseln.

Wenn "Vox" nach den "Vaterlands-Verrätern" im Innern ein neues Feindbild braucht, bieten sich die "Bürokraten in Brüssel" geradezu an. Deutsche, französische, österreichische, italienische Rechtspopulisten machen mit genau diesem Unsinn Europawahlkampf und fordern mehr Nation. Spanien wird vielleicht schon bald keine Insel der Europaseligen mehr sein.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union