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Wäge deine Worte

4. März 2016

Papst Franziskus ist ein Mann des Wortes. Doch vieles sagt er auch nur so dahin. Jetzt sprach er von der "arabischen Invasion", die Europa derzeit erlebe. Wieder ein Papstwort, mit dem Christoph Strack unglücklich ist.

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Papst Franziskus
Bild: Reuters/M.Rossi

"Öffnen wir der Barmherzigkeit unser Herz! Die göttliche Barmherzigkeit ist stärker als die Sünde." So twitterte Papst Franziskus am frühen Freitagmorgen. Diese täglichen Tweets werden, so ist zu vermuten, vor Veröffentlichung im Vatikan geprüft. Auch, aber wohl nicht nur wegen des Diktats der Knappheit von maximal 140 Zeichen. Denn im wirklichen Leben äußert sich Franziskus kantiger.

Nun lässt ein päpstlicher Satz beim Lesen stocken, mal wieder. "Wir können heute von einer arabischen Invasion sprechen. Das ist eine soziale Tatsache", sagte Franziskus. Diese Äußerung zitiert nicht irgendeine der italienischen Tageszeitungen, die wissen, dass theologisch zugespitzte Äußerungen dieses Kirchenoberhaupts vom Leser goutiert werden. Nein, es ist der "Osservatore Romano", dessen Herausgeber der Apostolische Stuhl selbst ist.

Christliche Nächstenliebe für Invasoren?

Mag man sich kaum die katholische Ehrenamtlerin in Sachsen oder auch die bürgerliche Pfarrgemeinde im noch bürgerlicheren Bonn vorstellen, die sich engagiert für Flüchtlinge einsetzen und ohnehin schon im Gegenwind stehen. Künftig bekommen sie jetzt zu hören: Sogar der Papst spricht von einer "arabischen Invasion"! Bilder von Truppen, Soldaten, Kämpfern - all das schwingt da mit.

Gewiss, Franziskus hat es nicht so gemeint, aber er hat die Worte verwendet. Und: Ja, die Rede von der "arabischen Invasion" ist Teil eines größeren Zusammenhangs. Da geht es um Herausforderungen und neue Chancen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Europa habe in seiner Geschichte viele Invasionen erlebt, "aber es hat immer über sich selbst hinauswachsen, voranschreiten können, um sich dann, bereichert durch den Austausch der Kulturen, wiederzufinden".

Intensiver päpstlicher Dialog mit dem Islam

Zwei Mal steht da also "Invasionen". Den Begriff wählt jener Papst, der seit seiner so symbolhaften ersten Reise nach Lampedusa zum Mahner Europas geworden ist, zum Menschenrechts-Anwalt der Flüchtlinge. Der nicht müde wird, Europa und die wohlhabenden Länder an ihre Verantwortung zu mahnen. Der für viele ein Hoffnungsträger ist. Den übrigens auch Muslime (aber Franziskus spricht nun ja auch nicht von Muslimen, sondern von Arabern) mit neuer Offenheit wahrnehmen: Ende Januar war in der Gestalt des iranischen Präsidenten Rohani einer der mächtigsten Schiiten und schiitischen Geistlichen im Vatikan, in zehn Tagen folgt mit dem Großscheich der Kairoer Al-Azhar-Universität einer der wichtigsten sunnitischen Geistlichen. Und demnächst besucht Franziskus wohl, als erster Papst überhaupt, die Große Moschee Roms.

Die jetzige Wortwahl lässt an einen Tiefpunkt der katholisch-muslimischen Beziehungen denken. Im September 2006 hielt Papst Benedikt eine ziemlich kluge Rede zum Zusammenhang von Glaube und Vernunft. Ein durchaus distanziert vorgetragenes Zitat aus einem mittelalterlichen Text, in dem es um religiös motivierte Gewalt ging, sorgte mit Verzögerung für Kritik, neuen Hass, für Demonstrationen in der islamischen Welt, für Angriffe auf christliche Einrichtungen. Klar, Benedikt war nicht schuld. Aber die Worte waren da, und die Empörung wurde zum Selbstläufer. Nebenbei gesagt: Es lohnt sich, mal wieder Hilde Domin lesen - das Gedicht "Unaufhaltsam" zur Macht des Wortes...

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW

Franziskus, dieser wegen seiner prophetischen Zeichenhaftigkeit und seiner bedingungslosen Nähe zu den Menschen große Papst, liegt verbal nun abermals daneben. Mal spricht er davon, Katholiken müssten sich nicht "wie Karnickel" vermehren, mal hat er nichts gegen ein paar Schläge als Erziehungsmethode, mal vergleicht er das kriselnde Europa mit einer unfruchtbaren Frau und desavouiert nebenbei alle Großmütter der Welt.

Die Eigendynamik des päpstlichen Geplauders

Das letzte Beispiel, entnommen seiner Rede vor dem Straßburger Europaparlament im November 2014, zeigt, wie sehr eine solche Wortwahl zu Eigendynamik führt. Vier Wochen ist es her, da geisterte zunächst - erste Szene - die Meldung durch die Welt, Kanzlerin Merkel habe zornig im Vatikan angerufen und den Papst verärgert auf dieses schiefe Bild "Europa als unfruchtbare Frau" angesprochen. Quelle dieser Information: Der Papst erzählte es so gegenüber italienischen Journalisten. Angeblich. Dann - zweite Szene - das Dementi (!) der Bundesregierung (!): Nein, Merkel könne sich an dieses Telefonat nicht erinnern. Dritte Szene: Der Vatikan bestätigt, dass es dieses Telefonat nie gegeben hat. Und überhaupt habe der Papst gegenüber den italienischen Journalisten nie von einem solchen Telefonat gesprochen. Mag also sein - wer weiß? - dass Merkel bei ihrem jüngsten Besuch im Vatikan im Sommer dem Papst passende und unpassende Bilder zu Europa … nun ja … erläutert hat. Und die italienischen Journalisten haben dies beim päpstlichen Plaudern nur falsch verstanden. Aber diese Schluss-Szene fehlt medial noch.

Auch jetzt, nach der "Invasionen"-Äußerung, heißt es wieder aus dem Vatikan: eine seitenlange Rede des Papstes mit tiefen Aussagen wird verkürzt... wie schade das sei... Das ist anachronistisch in einem System, das selbst twittert und auf kurze, knappe Botschaften setzt. Warum sagt denn nicht einmal jemand einfach seinem Chef: „Wäge Deine Worte!“ Wäge sie mehr.

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