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Terrorismus

Was wir den Opfern schuldig sind

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Fabian von der Mark
18. Dezember 2017

Bei dem Berliner Terroranschlag vor einem Jahr hat der Attentäter zwölf Menschen getötet. Ihre Angehörigen trauern bis heute, weil Deutschland versagt hat - vor und nach dem Anschlag, meint Fabian von der Mark.

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Goldener Riss - Mahnmal an die Toten des Anschlags vom Breitscheidplatz
Bild: mmplus

Nichts kann das Leid vergessen machen. Eine Mutter, die ihren Sohn beerdigen muss, ein Mann, der um seine Frau weint, ein Kind, das seinen Vater verloren hat - sie alle werden für immer Wunden tragen, die ihnen ein feiger Terrorist vor einem Jahr zugefügt hat. Diese Wunden kann kein Gespräch mit Angela Merkel, kein Scheck der Bundesregierung und kein Untersuchungsausschuss heilen. Und doch tragen wir den Opfern gegenüber diese Verantwortung.

Die Angehörigen klagen zu Recht, dass sie von der Bundeskanzlerin im Stich gelassen wurden. Zwar war Angela Merkel direkt nach dem Anschlag am Breitscheidplatz bei einem Gedenkgottesdienst, und auch zum Jahrestag hat sie Angehörige getroffen. Aber dazwischen lagen zwölf Monate, in denen die Kanzlerin nicht für sie da war. Auch wenn der Bundespräsident die Angehörigen empfangen und die Regierung einen Opferbeauftragten eingesetzt hat - auch Angela Merkel hätte sich den Angehörigen persönlich widmen müssen.

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DW-Korrespondent Fabian von der Mark

Seit Jahren wurde die Bevölkerung vor einem Terroranschlag gewarnt. Als er passierte, war Deutschland nicht darauf vorbereitet. Die Angehörigen fanden niemanden, an den sie sich wenden konnten - der Opferbeauftragte wurde erst Monate nach dem Anschlag eingesetzt. Geld kann einen Menschen nicht ersetzen. Wenn aber ein Gehalt ausfällt oder ein verletztes Opfer seine Wohnung rollstuhlgerecht umbauen muss und die Betroffenen ein Dutzend Stellen abklappern müssen, um an Unterstützung zu gelangen, dann ist das eines reichen Landes wie Deutschland unwürdig. Es muss klar sein, wer zahlt, und die Summen müssen stimmen - egal ob ein Opfer aus Deutschland, Polen oder Israel kam. Das sind wir ihnen schuldig.

Deutschland hat versagt - das muss aufgearbeitet werden

Die wohl schlimmste Erkenntnis für die Angehörigen ist, dass ihre Liebsten starben, weil massive Fehler begangen wurden. Der Terrorist kam nicht aus dem Verborgenen, sondern war den deutschen Sicherheitsbehörden seit Jahren bekannt. Wäre er abgeschoben, inhaftiert oder überwacht worden, hätte er die zwölf Menschen nicht töten können. Deutschland hat versagt.

So sinnvoll sein Föderalismus, seine Trennung von Geheimdiensten und Polizei und seine Vielzahl von Zuständigkeiten sein mögen: Wenn ein Islamist, der sich Sprengstoff und Gewehre besorgen will, der in Kontakt mit hochrangigen IS-Leuten steht und von Geheimdiensten als hochgefährlich eingestuft wird - wenn solch ein Mann aus den Augen gelassen wird, hat Deutschland als politisches System versagt.

Den Opfern sind wir schuldig, dass sich so etwas nicht wiederholt. Dass nicht noch einmal die Gefahr eines Extremisten verharmlost wird. Dass nicht noch einmal Fälle zwischen zig Behörden ergebnislos hin und hergeschoben werden. Dass nicht noch einmal Informationen innerhalb Deutschlands und Europas verloren gehen. Viele Pannen und Fehlstrukturen sind schon bekannt. Die Politik ist es den Opfern schuldig, den gesamten Komplex in einem Untersuchungsausschuss aufzuarbeiten und Lehren daraus zu ziehen.

Wir sind es den Opfern aber auch schuldig, unsere Freiheit zu leben. Die falsche Konsequenz aus dem Terror wäre es, nicht mehr auf Weihnachtsmärkte zu gehen, keinen Glühwein mehr zusammen zu trinken. Wir müssen dafür sorgen, dass der Terror verliert, und die Menschlichkeit siegt. Auch das sind wir den Opfern schuldig.

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