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Weise Worte für die Schublade

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Rolf Wenkel
2. November 2016

Während Mario Draghi sein fünfjähriges Dienstjubiläum als EZB-Präsident begeht, lassen die Fünf Weisen in Deutschland kein gutes Haar an seiner Politik. Schade, dass keiner hinhört, ärgert sich Rolf Wenkel.

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Mario Draghi EZB PK Frankfurt am Main
Bild: picture-alliance/dpa/A.Dedert

Fünf Professoren, zwölf Kapitel, über 500 Seiten, ein Gutachten, das die Bundekanzlerin mit ein paar freundlichen Worten entgegen nimmt, dann aber leider, leider, regelmäßig in der Schublade verschwindet. Das ist das Schicksal des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der regelmäßig im Herbst sein Jahresgutachten vorlegt.

Schade, schade, dass die Politik regelmäßig die guten Ratschläge ignoriert, die sich in den Jahresgutachten finden. "Zeit für Reformen" haben die fünf Professoren das 53. Gutachten überschrieben, und sie stellen ausdrücklich fest, dass "auch die Bundesregierung die gute ökonomische Entwicklung der vergangenen Jahre nicht ausreichend für marktorientierte Reformen genutzt" hat. Klar, dass solche Ermahnungen kein Politiker gerne hören und lieber gleich zur gewohnten Tagesordnung übergehen will.

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Rolf Wenkel aus der Wirtschaftsredaktion

"EZB verdeckt Probleme"

So wird es vermutlich auch Mario Draghi gehen, dem 69-jährigen Italiener, der am 1. November sein fünfjähriges Dienstjubiläum als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) gefeiert hat. An dessen expansiver Geldpolitik lassen die fünf Professoren nämlich kein gutes Haar. In guter alter römischer Redner-Tradition wird der Gegner erst einmal gelobt: "Im Euro-Raum hat die außergewöhnlich expansive Geldpolitik der EZB wesentlich zum Aufschwung beigetragen", schreibt der Sachverständigenrat.

Man muss den Gegner hoch heben, damit man ihn anschließend umso tiefer fallen lassen kann. Captatio benevolentiae nannten die altrömischen Rethoriker diesen Trick, und das Urteil der Fünf Weisen fällt dann auch im Anschluss an das Lob vernichtend aus: "Der Reformeifer ist erlahmt, und einige Euro-Mitgliedsländer lassen die notwendige Haushaltsdisziplin vermissen. Die Geldpolitik der EZB verdeckt diese Probleme und gefährdet zunehmend die Finanzmarktstabilität."

"Falsche Aufgabenverteilung"

Es wäre schön, wenn der italienische Jubilar in Frankfurt sich diese Worte zu Herzen nähme. Für den Sachverständigenrat deutet die weltweit lockere Geldpolitik jedenfalls auf eine falsche Aufgabenverteilung hin: "Dauerhaft höheres Wachstum lässt sich mit geldpolitischen Maßnahmen nicht erzielen." Sprich: Eine Zentralbank kann zwar durch eine lockere Geldpolitik die Voraussetzungen für einen Aufschwung schaffen, den Aufschwung können aber nur optimistische Unternehmer bewerkstelligen, die das billige Zentralbankgeld in die Hand nehmen und kräftig investieren.

Doch leider, so stellen die Fünf Weisen fest, ist "der Aufschwung im Währungsraum nicht selbsttragend, da noch immer erhebliche strukturelle Probleme bestehen". So ist das eben mit der falschen Aufgabenverteilung:  Mario Draghi ist vor allem aus dem Süden des Euro-Raumes gedrängt worden, mit einer ultralockeren Geldpolitik den Regierungen Zeit zu verschaffen.

"Ausmaß nicht mehr angemessen"

Zeit wofür? Für Reformen natürlich. Und wo bleiben die? Die lassen auf sich warten, oder, wie der Sachverständigenrat schreibt: "In der Währungsunion bestehen nach wie vor erhebliche strukturelle Probleme." Nun muss man Mario Draghi zugute halten, dass er selbst auch nicht müde wird, bei den Regierungen der Währungsunion eben jene fehlenden strukturellen Reformen anzumahnen. Doch als Realist müsste er eigentlich anerkennen, dass es gerade seine ultralockere Geldpolitik ist, die den Druck von den Regierungen nimmt, sich um Reformen zu bemühen.

So gesehen, ist die EZB-Geldflut eher kontraproduktiv, und es könnte der Zeitpunkt kommen, an dem sie mehr Schaden anrichtet als sie verhindert. Der Sachverständigenrat jedenfalls hält diesen Zeitpunkt für gekommen und schreibt ganz nüchtern und trocken: "Das Ausmaß der Lockerung ist aber angesichts der wirtschaftlichen Erholung nicht mehr angemessen." Angesichts der Risiken der Geldpolitik für die Finanzstabilität und die Konsolidierungs- und Reformbereitschaft der Mitgliedstaaten hält es der Sachverständigenrat für  besser, wenn "die EZB die Anleihekäufe verlangsamen und früher beenden" würde.

Glückwunsch, liebe Professoren, für diese treffende Analyse und für die gut gemeinten Ratschläge zur Verschleppungspolitik der Europäischen Zentralbank. Doch vermutlich wird sich der Jubilar in der Frankfurter EZB-Zentrale ähnlich verhalten wie die Bundesregierung: Ein freundliches Gesicht machen, das Jahresgutachten in die Schublade stecken und zur Tagesordnung übergehen. Und wieder einmal ist die Chance vertan, innezuhalten und über eine Änderung der fatalen Geldpolitik der EZB nachzudenken. Schade.

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