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Weiter so, aber anders

Ute Schaeffer22. September 2013

Schwarz-Gelb ist abgewählt – doch Rot-Grün hat keine Mehrheit. Bundeskanzlerin Angela Merkel kann aber weiterregieren. Die Koordinaten des politischen Systems haben sich gravierend verändert, meint Ute Schaeffer.

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Die Kanzlerin kann bleiben. Doch die von ihr geführte Regierung wird sich ändern. Der Regierungsauftrag geht an Angela Merkel, deren CDU mit 41,5 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei im deutschen Bundestag gewählt wurde. Doch der liberale Partner ist ihr abhanden gekommen. Voraussichtlich werden die Christdemokraten Deutschland in den kommenden vier Jahren regieren - möglicherweise gemeinsam mit den Sozialdemokraten.

Ute Schaeffer (Foto: DW)
DW-Chefredakteurin Ute SchaefferBild: DW/P. Henriksen

Merkels Kanzlerbonus war uneinholbar - und ihre Partei, die CDU, profitierte vom Ansehen ihrer Spitzenkandidatin. Sie konnte den größten Wahlerfolg seit zwei Jahrzehnten verbuchen! Das Wahlergebnis brachte zugleich einen historischen Absturz des kleineren Regierungspartners: Die FDP - mit dem höchsten Wahlergebnis von 14 Prozent vor vier Jahren in die Regierung gestartet - kommt nicht mehr in den Bundestag. Ein absolutes Tief für die Partei und eine echte Zäsur für die politische Landschaft in Deutschland, denn die Liberalen waren seit Gründung der Bundesrepublik 1949 im Bundestag vertreten.

Merkel-Politik mit Sozialdemokraten denkbar

Ganz offensichtlich wurden die Erfolge der Regierungskoalition als Erfolg der Kanzlerin gewertet: Deutschland hat die geringste Arbeitslosenquote in Europa, ein solides wirtschaftliches Wachstum, einen geringen Schuldenstand. Und das alles ohne echte Härten für die meisten Deutschen. Das hat die Wählerinnen und Wähler überzeugt. Sie wollten Kontinuität, Stabilität und Sicherheit - und dafür steht Angela Merkel. Sie ist nach acht Jahren im Amt eine bemerkenswerte Machtpolitikerin. So besetzte sie konsequent die zentralen Themen der Opposition: Mehr soziale Gerechtigkeit. Entlastung der Familien. Abschaffung der Wehrpflicht. Keine Einmischung in Libyen oder Syrien. Einleitung der Energiewende. Die Regierungskoalition der letzten vier Jahre war zwar auf dem Papier eine bürgerliche Koalition - doch sie machte bei vielen Themen eine sozialdemokratische, zuweilen sogar grüne Politik. Pragmatismus pur: Das ist das Prinzip Merkel, und es ist populär!

Für Merkel - und ganz offensichtlich auch für ihre Anhänger - wäre eine Fortsetzung der politischen Arbeit in einer Großen Koalition kein Problem. Im Gegenteil: gemeinsam mit den Sozialdemokraten wäre der Widerstand des rot-grün dominierten Bundesrats - der Vertretung der Bundesländer - sicher leicht in den Griff zu bekommen. Denn zurzeit blockiert die Länderkammer wichtige Gesetze.

Erosion des Parteiensystems

Deutschlands politische Landschaft ist im Umbruch. Die Koordinaten haben sich verschoben. Die SPD und die Grünen können mit ihrem Ergebnis nicht zufrieden sein. Trotz der erkennbaren Aufholjagd von SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück in den letzten Wochen des Wahlkampfes, konnte die Partei nur 2,7 Prozent zulegen und kommt auf 25,7 Prozent. Das ist weniger als erhofft. Die SPD kämpft um ihren Status als Volkspartei. Das liegt einerseits daran, dass ihr sozialdemokratische Themen durch die Politik der Kanzlerin genommen wurden. Und andererseits daran, dass sie eigene nicht überzeugend setzen konnte. Ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung ist die Linke - als Nachfolgepartei hervorgegangen aus der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der DDR - zur drittgrößten Partei des Landes geworden. Splitterparteien, allen voran die "Alternative für Deutschland" (AfD), zeigten klarere Kante. Die eurokritische AfD sammelte Protestwähler, Orientierungslose und Enttäuschte aus allen politischen Lagern.

Raus aus der Komfortzone

Das Kräfteverhältnis hat sich gründlich geändert. Doch woran liegt das? Viele Parteien, die Grünen und die Liberalen zuerst, waren vor allem mit sich beschäftigt. Eitle Personaldiskussionen und Anti-Themen wie Steuererhöhungen - dafür haben die Wählerinnen und Wähler kein Verständnis. Der Wahlkampf verlief ohne große Leidenschaften und Kontroversen. Ein Effekt dieser weichgespülten, wenig unterscheidbaren Politik: jeder dritte Wähler wusste noch kurz vor der Wahl nicht, für wen er oder sie stimmen würde. Kanzlerin wie Opposition stellten ihre Politik als Dienstleistung am Wähler dar. Statt politischer Debatten gab es smarte Werbung für das politische Produkt. Es ist kein Trend, der nur Deutschland trifft: doch Politik ist heute auch hier weniger politisch als in der Vergangenheit. Deutschland im Jahr 2013 hat es sich in der Komfortzone bequem gemacht!

Wichtige Zukunftsfragen warten auf Antwort

Als "Wahl, die über Europa entscheidet" wird die Bundestagswahl in den Krisen- und Nachbarländern Deutschlands betrachtet. Viele unserer Nachbarn rechnen mit einem moderateren, weniger strengen Kurs beim Managen der Finanzkrise, wenn eine Große Koalition Deutschland regieren würde.

Es ist aber auch eine Wahl, die über wichtige Zukunftsfragen in Deutschland entscheidet. Wie sichern wir im alternden Deutschland die Renten? Wie finanzieren wir die Energiewende? Wie steht Deutschland zur Syrien-Krise? Und was ist - jenseits des reinen Krisenmanagements - eigentlich unsere politische Vision für das erweiterte Europa? Hier ist unser Land politisch weit stärker gefordert als es die Verantwortlichen bisher wahr haben wollten. Deutschland - die größte europäische Volkswirtschaft und die viertgrößte weltweit - macht es sich gemütlich und ist mit sich selbst beschäftigt. Das allerdings sehr erfolgreich.

Schluss mit dem politischen Verwalten

Es ist der Auftrag der Politik, die Wähler und Nichtwähler auf diese Themen aufmerksam zu machen, zur Diskussion und Meinungsbildung einzuladen. Demokratie ist das immer wieder neue Aushandeln von Kompromissen. Diese gehen bekanntlich aus unterschiedlichen Positionen hervor, sind Ergebnis einer Debatte. Politik muss wieder politisch werden, so meine ich. Deutschland nicht nur politisch verwalten, sondern gestalten - das ist der Auftrag an die neue Regierung, über deren Zusammensetzung in den kommenden Tagen verhandelt wird.