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Politik

Wem dienen Kirche und Patriarchen?

Autor und Kolumnist der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle Eugen Theise
Eugen Theise
16. Januar 2019

Im Kirchenstreit mit Kiew redet Moskau die Spaltung der Weltorthodoxie herbei. Auch der ukrainische Präsident nutzt das Thema für sich. Um die Gläubigen geht es bei alledem zuletzt, meint Eugen Theise.

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Kiew Gläubige Ukrainer demonstrieren auf dem Sofijskaja-Platz
Bild: DW/Liliya Rzheutskaya

Seit am 6. Januar der Ökumenische Patriarch Bartholomäus dem Oberhaupt der neuen Orthodoxen Kirche in der Ukraine, Epiphanius, den Tomos - die Unabhängigkeitsbulle - überreicht hat, löst das kirchenrechtlich gewagte Manöver heftige Reaktionen aus. In der Ukraine überbieten sich die Befürworter der kirchlichen Unabhängigkeit in Schadenfreude. Sie freuen sich über die Niederlage des russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill, dem nun die Kontrolle über die Ukraine endgültig entgleitet. In Moskau beschwören die Popen deshalb die Spaltung der Weltorthodoxie herauf, indem sie die gemeinsame Gültigkeit der Sakramente mit dem Patriarchat von Konstantinopel aufkündigen. Politische Beobachter üben sich in Geopolitik und pflegen Verschwörungstheorien - bis hin zum Hinweis auf die angebliche Rolle US-amerikanischer Geheimdienste.

In dieser Gemengelage bleibt nur für einen Aspekt wenig Raum: für die Menschen und ihren Glauben. Millionen von orthodoxen Christen Ukraine freuen sich und sind erleichtert. Es sind die Gläubigen zweier Kirchen, die sich vor einem Vierteljahrhundert von der moskautreuen Ukrainischen Orthodoxen Kirche abgespalten haben und nun die Basis für die neue vereinte Kirche sind. Sie sind der Meinung, mit der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine müsse auch ihre orthodoxe Kirche unabhängig von Russland sein. Doch mehr als eine Autonomie ist aus Sicht Moskaus nicht drin.

Verbannung als Strafe

Bestraft wurden die "Abtrünnigen" mit der Verbannung aus der Orthodoxie. Jahrelang wurden sie als "Spalter" stigmatisiert, ihre Taufe wurde nicht anerkannt, sie hatten - wie fest auch immer sie zu ihrem christlichen Glauben standen - aus Sicht der kanonischen orthodoxen Kirchen keinen Anspruch auf Erlösung. Und ihre Eucharistie war auch kein Sakrament, sondern lediglich der Verzehr von Brot und Wein bei einer "illegitimen Versammlung".

Provisorisches Kommentarbild Eugen Theise, Deutsche Welle Ukrainisch
Eugen Theise ist Redakteur in der Ukrainischen Redaktion

Mir als Lutheraner könnte das alles egal sein. Weder spielt ein Papst noch ein Patriarch in meinem christlichen Weltverständnis eine Rolle, noch die Frage, ob andere meine Taufe und mein Abendmahl anerkennen. Es ist schließlich MEIN Glaube. Und dennoch kann ich als Christ die Gefühle dieser "verstoßenen" Menschen gut nachempfinden. Mir ist klar, was bei den orthodoxen Gläubigen anders ist: Für sie ist neben der Bibel noch etwas anderes wichtig - die Legitimierung ihrer Priester, die sie bis auf die Apostel Jesu zurückführen.

Deshalb freue ich mich für die ukrainischen Orthodoxen, dass sie wieder als "legale" Christen gelten. Patriarch Bartholomäus verdient Respekt dafür, dass er in diesem Kirchendrama nicht wegschauen wollte. Der Verstoß von Millionen Gläubigen eines Landes aus der christlichen Familie war unerträglich und auf Dauer nicht haltbar. Der Ökumenische Patriarch hat das spätestens im Jahr 2008 erkannt. Damals schon führte er intensive Gespräche mit Vertretern aller drei orthodoxen Kirchengruppen in der Ukraine. Eine Einigung und damit auch die Unabhängigkeit der ukrainischen orthodoxen Kirche scheiterte damals nicht allein an Moskau, sondern auch am Machtanspruch einzelner ukrainischer Kirchenfürsten. 

Die Kritiker von Bartholomäus verkennen die Realität: Spätestens seit dem Krieg im Donbass und der Annexion der Krim war eine vereinte orthodoxe Kirche unter dem Moskauer Patriarchat in der Ukraine nicht mehr möglich. Warum sollten die Ukrainer einer Kirche treu bleiben, die den im Osten des Landes gefallenen Soldaten oftmals sogar die Bestattung nach orthodoxem Ritus verweigerte? Einer Kirche, deren Priester im Donbass in Predigten mit Worten Öl ins Feuer des bewaffneten Konflikts gossen und auch die Annexion der Krim durch Russland guthießen? Die Mehrheit der Ukrainer, das zeigen Umfragen, will nicht mehr Teil eines von Moskau kontrollierten Imperiums sein: weder politisch, noch kirchlich.

Politische Gefahren für die neue Kirche

Im patriotischen Rausch laufen jetzt aber auch die Ukrainer Gefahr, genau so arrogant und politisch wie die russische Seite zu agieren. Sie applaudieren, wenn ihre Politiker sich in billigstem Populismus üben und dabei grob in kirchliche Angelegenheiten einmischen. Per Gesetz wird nun beispielsweise die Ukrainische Kirche des Moskauer Patriarchats gezwungen, sich in "Russische Orthodoxe Kirche" umzubenennen.

Das Oberhaupt der neuen Kirche, Metropolit Epiphanius, lässt sich sogar in den Wahlkampf von Petro Poroschenko einspannen: Auf Schritt und Tritt ist er auf riesigen Werbebannern mit dem Staatspräsidenten zu sehen. Priester bekommen Orden für ihre sogenannten "patriotischen Dienste". Ein gefährliches Spiel, das zeigt, wie sehr der Tomos derzeit auch auf ukrainischer Seite politisiert wird. Die Menschen und ihr Glaube - also das, wofür Kirche eigentlich da ist - gerät so leider immer mehr in den Hintergrund.