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Politik

Wirecard-Skandal - Aufklärung ist fraglich

Deutschland Journalist Mischa Ehrhardt
Mischa Ehrhardt
1. August 2020

Beim Wirecard-Betrugsskandal haben alle Aufsichten versagt. Wichtiger als schnelle Reformen ist aber eine schonungslose Analyse der Gründe. Und zwar unabhängig von politischen Interessen, meint Mischa Ehrhardt.

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Deutschland Wirecard Symbolbild | Logo
Bild: Reuters/W. Rattay

Das Problem des Falles Wirecard ist nicht das komplette Aufsichtsversagen. Sondern die Tatsache, dass dies mit Ansage geschah. Offenbar hatte niemand ein Interesse an Kontrolle und Aufsicht: Weder die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin oder die in Bayern zuständigen Landesbehörden noch die Wirtschaftsprüfer von EY (ehemals Ernst & Young) oder der Aufsichtsrat im Unternehmen.

Dabei gibt es seit Jahren Hinweise auf Geldwäsche, Scheingeschäfte und aufgeblähte Bilanzen bei Wirecard. Ein Börsenreport etwa schilderte das 2016 minutiös auf 100 Seiten. Eine Kopie ging an die Bafin. Was geschah? Die Bafin stieß Ermittlungen gegen die Autoren an - wegen des Verdachtes auf Kursmanipulationen. Auch die renommierte "Financial Times" berichtete in einer Reihe von Artikeln über Scheingeschäfte bei Wirecard. Was geschah? Die Bafin erließ ein historisch einmaliges Verbot von Leerverkäufen für Wirecard-Aktien - und sie stieß Ermittlungen gegen die Journalisten an.

Dabei nannte die Zeitung im März 2019 mindestens drei konkrete Partnerfirmen Wirecards, die es so offenbar nicht gab. An den angegebenen Firmenadressen auf den Philippinen fanden die Journalisten leerstehende Lagerhäuser, einen Busbahnhof und das Domizil eines Seemannes. Der wunderte sich, wenn dann und wann ein Schreiben einer deutschen Bank Namens Wirecard in seinem Briefkasten landete, adressiert an die Scheinfirma unter seiner Adresse. Ein Foto des Briefkopfes des Schreibens war in dem Artikel zu sehen.

Olaf Scholz verfolgt eigene politische Interessen

Die Aufsicht fand also allenfalls in homöopathischen Dosen statt. Vermutlich lag es im Interesse der Behörde, sich schützend vor das vermeintliche Fintech-Vorzeigeunternehmen zu stellen. Das macht die Sache nicht besser. Es offenbart allenfalls einen Interessenkonflikt, der nicht sein dürfte.

Deutschland Journalist Mischa Ehrhardt
Wirtschaftskorrespondent Mischa EhrhardtBild: privat

Dass sich der Bundesfinanzminister nun vor die Bafin und deren Chef stellt, ist ebenfalls ein durchsichtiges Manöver: Olaf Scholz wird als SPD-Kanzlerkandidat gehandelt. Als Bundesfinanzminister aber ist ihm die Aufsichtsbehörde unterstellt. So wird das Überleben des Chefaufsehers auf seinem Posten zur Chefsache des Ministers.

Die Aufsichtsbehörde nun stärken zu wollen, liegt nahe. Nur muss man zunächst die Ursachen ihres Versagens analysieren, um die richtigen Schritte einzuleiten. Ob schonungslose und ausschließlich vom Erkenntnisinteresse geleitete Aufklärung aber aus Richtung des Finanzministeriums kommen kann, ist äußerst fraglich.

Wirtschaftsprüfer haben Bilanzen durchgewinkt

Scholz unterstreicht stattdessen, dass die Wirtschaftsprüfer von EY versagt hätten. Auch das gehört in die Kategorie politischer Verteidigungsstrategien. Auch wenn es der Sache nach richtig ist.

Ein Jahrzehnt lang haben die Wirtschaftsprüfer die Bilanzen geprüft und durchgewinkt. Auch hier herrscht ein simpler Interessenkonflikt. Denn die vier Oligopolisten der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungswelt beraten gleichzeitig die Unternehmen, deren Bilanzen sie prüfen sollen - das sind EY, Deloitte, PwC (PricewaterhouseCoopers) und KPMG. 2009 hat sich die EU-Kommission an einer Reform der Wirtschaftsprüfung versucht. Die "Big Four" und ihre Branche haben das erfolgreich verhindert. Ein neuer Impuls muss nun aus Berlin kommen.

Und schließlich muss man auch fragen, warum der Aufsichtsrat im Unternehmen Wirecard versagt hat. Auch hier muss man in Folge des Betrugs über Strukturen, Verflechtungen und die Besetzung von Aufsichtsräten diskutieren.

Nach schnellen Reformen der Aufsichtsbehörde zu rufen, klingt gut. Schnelle Reformen sind sinnvollerweise aber nicht zu haben. An erster Stelle muss eine gründliche Analyse des Versagens auf allen Ebenen der Aufsichten stattfinden. Ob das nun ein Untersuchungsausschuss des Bundestages versucht, ist schon zweitrangig - auch er könnte im anstehenden Wahlkampf instrumentalisiert werden.

Unabdingbar aber ist umfassende und schonungslose Aufklärung. Und zwar unabhängig von möglichen Interessen einzelner Parteien und Personen.