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Politik

Gefangen in der Macht des Kreml

25. März 2020

Der Mann, der vor 20 Jahren in Russland an die Macht kam, will und kann diese Macht nie wieder abgeben. Putin ist zum Gefangenen des Herrschaftssystems geworden, das er selbst geschaffen hat, meint Christian F. Trippe.

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DW-Karikatur von Sergey Elkin - Verfassungsreform in Russland

Der Wahlkampf im Frühjahr 2000 war kurz und unspannend; Wladimir Putin konnte seine Botschaften auf allen russischen TV-Kanälen nahezu ungestört mit reichlich Sendezeit verbreiten. In Russland, so versprach der ehemalige Geheimdienstoffizier, wolle er eine Diktatur errichten, eine Diktatur des Rechts. Russland sei ein reiches Land mit armen Menschen. Und auf die Frage, welches Land ihm Vorbild sei, antwortete er damals: Korea. Welchen der beiden koreanischen Staaten er meinte - den demokratischen Tiger im Süden oder das totalitäre Regime im Norden - ließ Putin offen. Wahrscheinlich genoss er die Witze, die darüber sogleich im Umlauf waren. 

Niemand hatte in den Märztagen vor 20 Jahren an Putins Sieg gezweifelt, aber viele machten sich damals noch Illusionen. Der damals immer etwas linkisch auftretende, fast schon schüchterne Mann aus St. Petersburg sollte zum Präsidenten gewählt werden. Darauf hatten sich die Machteliten des tiefen Staates verständigt und prahlten noch am Wahlabend mit ihren 'administrativen Reserven'. Und Putin lieferte, was von ihm - im Westen übrigens genauso wie in Russland - erwartet wurde: Er stoppte den Verfall russischer Staatlichkeit, der in manchen Regionen des riesigen Landes bereits ein Zerfall war. Er stabilisierte eine Nation, die nach ihrer Niederlage im Kalten Krieg mental und sozial ein Jahrzehnt lang im freien Fall gewesen war. Und Putin versprach seinen Gesprächspartnern das, was sie hören wollten. Dafür adelte ihn der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder zum „lupenreinen Demokraten". Ein Trugschluss. 

Abkehr vom Westen und seinen Werten 

Denn von Anfang an war an Putins Politik ablesbar, dass er eben nicht jenen Weg nach Westen fortsetzen würde, den sein Vorgänger Boris Jelzin - manchmal schwankend, auch im wörtlichen Sinn - eingeschlagen hatte. Die freie Presse legte Putin sogleich an das staatliche Gängelband; dort ist sie bis heute. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die Oligarchie - den ja alle begrüßten - zerschlug Putin funktionierende private Medienunternehmen. Nach zwei Jahren konnten alle sehen, wohin die Reise geht: zivilgesellschaftliches Engagement unerwünscht, politische Parteien nur noch geduldet, nur noch als "systemtreue" Opposition.

Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe leitet die Russische Redaktion der DW und war von 1999 bis 2002 als DW-Korrespondent in MoskauBild: DW

Schon damals begann, was sich heute in der Kriminalisierung von allen und jedem niederschlägt, der gegen Putin aufbegehrt. Wer opponiert gegen manipulierte Wahlen, wer demonstriert gegen Korruption und Stillstand im Land, der bekommt schnell den Gummiknüppel zu spüren. Putin hat in 20 Jahren einen lupenreinen Polizeistaat geschaffen. Seine Herrschaft begann als "gelenkte Demokratie" - so nannten seine Berater den schrittweisen Übergang zu einer autoritären Regierungsform, garniert mit Versatzstücken aus dem Zarenreich und aus der nicht minder imperialen Sowjetunion. Er war erst ein paar Monate im Amt, als er die alte Sowjethymne wieder einführte, wenn auch mit neuem, russländisch-patriotischem Text. 

Bau eines neuen russischen Imperiums

Erst in jüngster Zeit, seitdem die Moskauer Außenpolitik offen neo-imperial ist, wurde zusätzlich eine Prise Personenkult in Putins Herrschaft gemischt. Mit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014, dem anschließenden Anstacheln des Separationskrieges im Donbass und mit der Militärintervention in Syrien versucht Russland unter Putin an alte Weltreichträume anzuknüpfen. In der kremlfrommen Öffentlichkeit lässt sich der Präsident seitdem gerne "nationaler Leader" nennen. Ein Spitzenfunktionär hat Putin 2014 mit Russland gleichgesetzt: Ohne Putin kein Russland - so lautet, etwas verkürzt, die griffige Formel seiner Anhänger.

Auf diese politische Seligsprechung zu Lebzeiten konnte nur die Verlängerung von Putins Amtszeit quasi auf Lebenszeit folgen. Das ist ebenso zynisch wie logisch. Den dazu nötigen Umbau der Verfassung durch ein Referendum - reine Formsache für die Polittechnokraten im Kreml. In der offiziösen Kampagne für die Volksabstimmung spielt der Begriff Stabilität aus gutem Grund eine Schlüsselrolle. Als Putin im März 2015 für ein paar Tage untertauchte - er war einfach verschwunden, bis heute ist unklar, warum - verfiel Moskau in eine Art Schockstarre. Denn Putins Herrschaftssystem ist darauf ausgerichtet, dass er als oberster Schiedsrichter die Machtkonflikte der Kreml-Granden austariert, dass er über die Verteilung der Staatspfründe entscheidet. Auch darin zeigt sich Putin als eine Art Kreuzung aus kommunistischem Generalsekretär und feudalem Fürsten.

Putins persönliche Perspektiven

So gesehen haben Putins Büchsenspanner ja recht: Ohne ihn funktioniert das System nicht, ohne ihn bricht es zusammen. Ein solcher Kollaps aber würde zu allererst denjenigen treffen, mit dessen Namen die Erschaffung dieses Machtapparats verbunden ist. Also ist Wladimir Wladimirowitsch Putin wohl dazu verurteilt, bis zum Ende seiner Tage das zu tun, was er seit 20 Jahren tut: Präsident seines Landes zu sein, dem er zu Beginn Orientierung gab, das er aber längst nicht mehr zum Wohle seiner Bürger und erst Recht zum Schaden seiner Nachbarländer regiert. Ein westlicher Gesprächspartner hat Putin einmal gefragt, wie der sich dereinst seinen Ruhestand vorstelle. Putin soll eine Antwort schuldig geblieben sein.

Die Stabilität, die auch im Westen bei allen politischen Spannungen immer noch als Aktivposten von Putins langer Herrschaft gilt, entpuppt sich als Chimäre. Genau wie die doppeldeutigen Sprüche, die seine erste Wahl vor 20 Jahren begleiteten.