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Zählen alle Opfer gleich?

Chrispin Mwakideu Kommentarbild App PROVISORISCH
Chrispin Mwakideu
19. November 2015

Nach Paris warfen afrikanische Kommentatoren westlichen Medien doppelte Standards vor bei der Berichterstattung über den Terror. Chrispin Mwakideu findet aber, dass auch in Afrika Gleiches nicht gleich behandelt wird.

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Selbstmordattentate auf dem Marktplatz in der nigerianischen Stadt Kano (Foto: next24online/NurPhoto)
Bild: picture-alliance/dpa

So wie jeder, der die Nachrichten aus Paris verfolgt hat, war auch ich tief betroffen und traurig. Aber als Afrikaner komme ich dennoch nicht umhin, mich zu fragen: Wo ist der Aufschrei des Westens, wenn Boko Haram die nigerianische Bevölkerung terrorisiert? Wo war diese Trauer und Solidarität, die wir nach den Anschlägen von Paris gesehen haben, als die somalischen Al-Schabab Milizen 147 Studenten am Garissa College im Norden Kenias ermordeten?

Eines ist klar: Die westliche Welt nimmt Terroranschläge in Afrika, im Nahen Osten oder an anderen Plätzen der Welt anders wahr, als wenn Terroristen eine der großen Weltstädte wie London, Paris oder New York angreifen. Ich stelle mir jedoch die Frage: Wie können wir Afrikaner mit dem Finger auf den Westen zeigen, wenn wir Grausames in unseren Ländern selbst ignorieren?

Zählt ein Leben mehr als das andere?

Vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Einstellungen zum Leben und zum Tod? Ich bin in Kenia aufgewachsen, der Tod war für uns allgegenwärtig. Das hat sich seither auch nicht verändert. Dutzende Menschen sterben jeden Tag, sei es durch Verkehrsunfälle, vermeidbare Krankheiten oder Gewaltverbrechen. Das soll nicht heißen, dass es das nicht auch in Europa gibt. Aber in vielen afrikanischen Ländern scheint der Tod um die Ecke zu lauern. Auf Kiswahili sagt man "wakufa ni wakufa", was frei übersetzt so viel bedeutet wie: Die, die sterben sollen, werden auch sterben. Diese Art von Fatalismus hat alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen.

Chrispin Mwakideu (Foto: DW)
DW-Redakteur Chrispin Mwakideu

Vor einigen Monaten sind mehr als 1200 Afrikaner aus Ländern wie Mali, Äthiopien, Somalia und Tansania bei einer Massenpanik im saudischen Mekka ums Leben gekommen. Vielleicht liegt es an diesem Fatalismus, dass die Reaktionen der Afrikanischen Union und afrikanischer Regierungen auf die Katastrophe sehr dürftig ausgefallen sind.

Noch nicht einmal die afrikanischen Kommentatoren, die sonst schnell dabei sind, den Westen anzuprangern, haben damals ihre Stimme erhoben. Anstatt jetzt auf den Westen zu zeigen, sollten die Afrikaner ihren eigenen Fatalismus im Bezug auf den Tod hinterfragen und jedes einzelne Menschenleben mehr wertschätzen. Ob man durch die Hände eines Terroristen stirbt, durch eine unheilbare oder heilbare Krankheit oder einen rücksichtslosen Autofahrer - jedes Leben verdient es, von allen betrauert zu werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Afrika sofort reagieren und mit einer Stimme sprechen muss, wenn die Terroristen der Al-Schabab Milizen oder von Boko Haram wieder unschuldige Zivilisten töten. Nur wenn wir selbst damit beginnen, jedes Leben zu respektieren, wird der Rest der Welt folgen.

Wissen wir Afrikaner voneinander?

Ich frage mich immer wieder: Wie viele Gambier wissen eigentlich über die anhaltende politische Krise in Burundi Bescheid? Dort sind seit April bereits 200 Menschen ermordet worden. Wie viele Namibier wissen etwas über den brutalen Bürgerkrieg im Südsudan bei dem Zehntausende getötet und vertrieben wurden? Ich könnte endlos weitermachen mit der Auflistung der Tragödien auf meinem Kontinent.

Im Gegensatz dazu stehen die Anschläge von Paris: Der gesamte Kontinent konnte in Echtzeit die Geschehnisse verfolgen und wirklich jeder war darüber im Bilde. Es ist eine Tatsache, dass westliche Medien afrikanische Geschichten nicht so abdecken wie sie es mit Themen, die den Westen betreffen, tun.

Es ist auch wahr, dass die nigerianische Kampagne #Bringbackourgirls sich im Netz wie ein Lauffeuer verbreitet hat, nachdem Michelle Obama sie unterstützt hat. Aber mal ehrlich: Wie viele afrikanische Medien haben die Geschichte der 200 entführten Schulmädchen seither weiter verfolgt?

Anstatt sich also über doppelte Standards aufzuregen, ist es an der Zeit, dass die afrikanischen Länder selbst die Ereignisse auf ihrem eigenen Kontinent intensiver verfolgen.

Es ist beschämend, dass erst auf Initiative Frankreichs eine UN-Resolution zur anhaltenden Krise in Burundi verabschiedet wurde. Wo waren die 54 afrikanischen Staaten? Und das gesamte nördliche Afrika brennt lichterloh. Ist sich das südliche Afrika dessen überhaupt bewusst?

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