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Politik

Zu viel Krach - Der Fall Pawlikowa

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
19. August 2018

Das Schicksal von Anna Pawlikowa findet außerhalb Russlands nicht viel Beachtung. Dabei zeigt er, was im russischen Staat möglich ist, welche Kraft aber auch die Zivilgesellschaft hat, meint Miodrag Soric.

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Russland Prozess gegen Anna Pawlikowa in Moskau
Anna Pawlikowa diese Woche im Gerichtssaal - wie eine Schwerverbrecherin hinter GlasBild: DW/M. Soric

Die Kremlchefs kommen und gehen in Russland, die Geheimdienstspitzel aber bleiben. Und mit ihnen menschliche Tragödien, die sie verursachen. So auch im Fall Anna Pawlikowa. Ihre Eltern sind schwer krank, als Tierpflegerin verdient sie nicht viel, das Leben in Moskau scheint mühsam. Die damals 17-Jährige verabredet sich über einen Messenger-Dienst mit neun Altersgenossen - bei McDonalds.

Ein übereifriger Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB bekommt davon Wind, gesellt sich zu ihnen, heizt die Diskussion in der Gruppe erst richtig an und wirft immer weitreichendere politische Forderungen in die Runde. Die Reaktionen auf seine Vorschläge hält er schriftlich fest, übergibt den Bericht seinen Vorgesetzten. Er dient dem Gericht als Beweis, dass die jungen Leute eine extremistische Vereinigung gründen wollten. Anna kommt ins Gefängnis, wird bei Gerichtsterminen behandelt wie eine Schwerverbrecherin. Das Mädchen weiß nicht, wie ihr geschieht.

Eine menschenverachtende Bürokratie

In einem Rechtsstaat wäre es soweit nicht gekommen. Institutionen, die den Geheimdienst kontrollieren, wären eingeschritten. Andere Behörden, die sich um die Rechte von Jugendlichen kümmern, hätten Einspruch eingelegt. Oppositionspolitiker hätten sich der Frau angenommen. Doch Russland ist kein Rechtsstaat.

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Miodrag Soric ist Korrespondent in Moskau

Der Geheimdienst scheint übermächtig, durchdringt alle Machtstrukturen bis hoch zur Staatsspitze. Und wenn jemand - wie im Fall von Anna Pawlikowa - einen eklatanten Fehler begeht, wird er gedeckt. Sogar von einem eigentlich unabhängigen Gericht. Die Justiz ordnet sich dem Geheimdienst ebenso unter wie alle anderen Institutionen des Staates. Die Richterin, die Anna für Monate wegsperren ließ, bekommt von höherer Stelle gesagt, wie das Urteil auszusehen hat - kann also nicht nach Recht und Gesetz entscheiden. Nicht einmal der gesunde Menschenverstand spielt hier eine Rolle. Jeder, der die zitternde, junge Frau im gepanzerten Glaskasten im Gerichtssaal sah, verstand sofort: Hier geschieht großes Unrecht. Dieses Mädchen ist keine "Extremistin", sie stellt keine Gefahr für die Sicherheit des Staates dar. Vielmehr ist sie das Opfer einer menschenverachtenden Bürokratie, der Einhalt geboten werden muss.

Das einzige Korrektiv, welches in Russland noch greift, ist die Zivilgesellschaft. Sie ist munter und lebendig, auch wenn viele dies infrage stellen. Schauspieler, Dichter, Intellektuelle, Menschenrechtsgruppen nahmen sich Anna und ihrer Familie an, verbündeten sich mit mutigen, oppositionellen Medien und sorgten für das, was man im Russischen "Schum" nennt: Krach. Demonstrationen wurden organisiert. Zuerst kamen nur wenige Dutzend. Dann immer mehr. Am vergangenen Mittwoch demonstrierten über 1000 Menschen in Moskau bei stürmischen Regen, marschierten zum Gericht - viele mit Teddybären in der Hand, um auf Annas Alter aufmerksam zu machen.

Ein Sieg für Russlands Zivilgesellschaft

Als dann einzelne Propagandisten des Kreml ebenfalls Zweifel an der inzwischen fünfmonatigen Haft von Anna Pawlikowa äußerten, knickten die Schlapphüte ein. Das Gericht tagte erneut, ordnete nun Hausarrest für Anna an. Immerhin durfte die inzwischen 18-Jährige jetzt vorläufig das Gefängnis verlassen. Ein kleiner, aber wichtiger Sieg für Russlands Zivilgesellschaft. Der Fall kann aber erst dann zu den Akten gelegt werden, wenn die junge Frau endgültig freigesprochen und ihr eine Entschädigung für das erlittene Unrecht gezahlt wird. In einem Rechtsstaat würden auch die Geheimdienstmitarbeiter, die Staatsanwaltschaft sowie die Richter, die sich an Anna vergangen haben, zur Rechenschaft gezogen. Doch so weit ist Russland nicht. Noch nicht.