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Kommissar Web 2.0

Silke Wünsch25. März 2012

Über soziale Netzwerke erreicht man schnell sehr viele Menschen. Das will sich auch die Polizei zunutze machen. Noch sind es Versuche, doch sie haben schon Erfolge gezeigt. Einziger Knackpunkt: Der Datenschutz.

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Eine Hand hält ein Smartphone vor einen Computerbildschirm (Foto: Arne Dedert/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Liebe Facebook-Gemeinde, wir haben auf unserer Seite einen dringenden Fahndungsaufruf verbreitet. Bitte unterstützt uns und teilt die Seite. Eure Polizei."

So fahndet die Frankfurter Polizei im sozialen Netzwerk Facebook. Zu sehen sind Phantombilder und die Beschreibung des Verdächtigen. Die Nutzer werden um "sachdienliche Hinweise" gebeten, Zeugen werden gesucht. Wer Tipps geben kann, soll bitte bei der Dienststelle anrufen oder ein Online-Formular ausfüllen.

Facebook-Fahndung - damit erschließen sich den Ermittlern bislang ungeahnte Möglichkeiten: Auf diesem Weg werden viel mehr Menschen erreicht als über die klassischen Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen. Siegfried Wilhelm vom hessischen Landeskriminalamt schwört auf diese Methode: "Der Vorteil ist, dass durch die Vernetzung der Facebook-User untereinander Inhalte in sehr kurzer Zeit verbreitet werden, was beispielsweise durch die 'Teilen'-Funktion geschieht. Diese virale Verbreitung ist überaus erfolgreich."

Tatsächlich konnte in Frankfurt bereits ein Mord mit Hilfe von Facebook-Usern aufgeklärt werden. Ein Discobesucher wurde bei einer Schlägerei mit Türstehern getötet. Die Polizei stellte Überwachungsvideos ins Netz, um Zeugen zu identifizieren. Wie ein Lauffeuer ging das durch die Netzgemeinde - Zeugen meldeten sich und die Täter wurden überführt.

Der Schatten eines Mannes fällt auf eine Beamerprojektion mit einem gepixelten Fahndungsplakat mit dem Hinweis "Erledigt!" (Foto: Julian Stratenschulte dpa/lni)
Wenn der Täter überführt ist, verschwindet die SeiteBild: picture-alliance/dpa

Auch in Niedersachsen konnte die Polizei Fahndungserfolge verbuchen. Dort versteht man sich als Pionier der Facebook-Fahndung: Im vergangenen Jahr startete man diese Art der Öffentlichkeitsfahndung als Modellversuch. Acht Verbrechen wurden aufgeklärt. Die Facebook-Seite der Polizeidirektion Hannover hat mehr als 100.000 Fans. Auf deren Pinnwand ist ordentlich was los - hier werden nicht nur Verbrecher gesucht, sondern auch geklaute Pferdeanhänger oder Besitzer gestohlener und sichergestellter Schmuckstücke.

"Kriminalität ist relativ jung"

Die polizeiliche Kriminalstatistik, die jedes Jahr vom Bundeskriminalamt erstellt wird, belegt, dass gerade bei Gewaltverbrechen die Zahl der jungen Täter überdurchschnittlich hoch ist. Diese Altersgruppe wiederum ist am stärksten im Netz aktiv: Fast 96 Prozent der unter 30-Jährigen sind Mitglied in einem sozialen Netzwerk. Allein bei Facebook sind 54 Prozent der deutschen Nutzer zwischen 18 und 34 Jahre alt.

Alexander Seidl, Internetrechtler an der Universität Passau, sieht durchaus die Vorteile der Polizeiarbeit im Web 2.0: "Kriminalität ist relativ jung. Die Ermittler können Zielgruppen ansprechen, deren Alter dem der Täter entspricht. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nutzer die Täter wiedererkennen, besonders hoch."

Das alles klingt zunächst sehr gut. Oder wie ein User es in einem Forum treffend umschreibt: "Warum soll die Polizei nicht die gleichen Medien benutzen dürfen wie die Gauner? Es entwickelt sich doch alles irgendwie weiter, dann sollte die Polizei auch in den Genuss kommen, derartige Entwicklungen zu nutzen."

Wo bleibt der Datenschutz?

Das Logo des Online-Netzwerkes "Facebook", aufgenommen durch eine Lupe von einem Computer-Bildschirm (Foto: Joerg Koch/dapd)
Was für Sherlock Holmes die Lupe war, soll das soziale Netzwerk für die moderne Polizei seinBild: dapd

Doch genau hier setzt die Kritik an: Auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken ist es möglich, die Einträge der User zu kommentieren. "Doch diese Funktion birgt Risiken, insbesondere datenschutzrechtlicher Art", sagt Alexander Seidl. Die Polizeidienststellen machen die User zwar darauf aufmerksam, dass Hinweise bitte nicht per Kommentarfunktion, sondern per Telefon oder Mail weiter gegeben werden sollen. Hält sich der Nutzer jedoch nicht daran, könnten so datenschutzrechtliche Belange anderer Personen betroffen werden, sagt Seidl.

Konkret heißt das: Wenn jemand an die Polizei-Pinnwand einen Namen und eine genaue Adresse postet und hinzufügt, dass dieses "Schwein" ein Kinderschänder ist, weiß sofort eine große Zahl von Facebook-Nutzern, um wen es da geht. Kaum jemand kann den Denunzianten stoppen, wenn er einfach nur einen Rachefeldzug gegen eine bestimmte Person führt.

So müssten Mitarbeiter der Polizeidienststellen ihre Facebook-Seite Tag und Nacht im Blick haben und unliebsame, beleidigende und unsachliche Kommentare löschen. Bis diese allerdings von der Seite verschwunden sind, kann es Stunden dauern. In dieser Zeit richten solche Kommentare unter Umständen große Schäden an.

Sorgen machen den Datenschützern auch ganz praktische Probleme: Niemand weiß, ob seine Daten aus dem Netz wieder verschwinden. Wenn jemand zu Unrecht beschuldigt wurde, bleibt der Verdacht - zumindest im Netz - für immer an ihm hängen. Facebook löscht keine Daten, es verbirgt sie nur. Und sammelt sie auf seinen Servern in den USA - außerhalb des Facebook-Imperiums hat niemand Einfluss auf das, was dort mit den Nutzerdaten passiert. Das musste auch das niedersächsische Landeskriminalamt hinnehmen. Auf eine Anfrage bei Facebook-Deutschland hieß es lediglich, Facebook werde nicht auf die Speicherung personenbezogener Daten in den USA verzichten.

An einen Server angeschlossene Datenkabel (Foto: Thomas Kienzle/AP/dapd)
Nur wenige wissen, welche Informationen auf den Servern von Facebook gesammelt werdenBild: dapd

Eine unaufhaltsame Lawine

Ein weiteres großes Problem, so der Internetrechtler Alexander Seidl, sei die Verbreitung von Facebook-Einträgen durch das Schneeballsystem. Laut einer Forsa-Studie hat ein Facebook-User durchschnittlich 133 Freunde. Teilt nur einer den Inhalt der Polizeiseite auf seiner Pinnwand, können 133 Menschen diesen sehen, kommentieren und wiederum mit 133 anderen Nutzern teilen. Eine unaufhaltsame Lawine und für die Polizei nicht kontrollierbar, so Seidl: "Wenn die Polizei in einem fremden Facebook-Profil einen datenschutzrechtlich relevanten Kommentar entdeckt, so kann sie den Nutzer lediglich auffordern, diesen Kommentar zu löschen." Einfluss habe die Polizei nicht. Facebook könne zwar einschreiten, jedoch nur mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung.

Auf so etwas will sich die hessische Landesregierung gar nicht erst einlassen. So schaltet die Polizei in Hessen die Kommentarfunktion von vorneherein ab. Auf ihren Fahndungs-Websiten gibt es lediglich die Informationen zum mutmaßlichen Täter und eine Kontaktmöglichkeit.

Siegfried Wilhelm vom hessischen Landeskriminalamt hat allerdings beobachtet, dass es in der Netzwelt offenbar gar nicht so viele schwarze Schafe gibt: "Erfahrungen anderer Betreiber von Fanpages haben gezeigt, dass zweifelhafte Einträge wie Beleidigungen sehr selten sind und die Verursacher durch die Community auf ihr Fehlverhalten hingewiesen werden." So schreibt auch eine Userin in einem Diskussionsforum, dass man die Dynamik, die so ein Aufruf bekommen kann, nicht unterschätzen sollte: "Ein Mob lässt sich schnell aufhetzen und dann Gute Nacht. Das ist eine offene Tür zur Lynch-Justiz!"

Modell mit Zukunft

Im Moment arbeiten mehrere Landeskriminalämter am Projekt Facebook-Fahndung. Überall werden Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit dem Thema auseinander setzen, vor allem mit dem Datenschutz.

Daumen hoch - "Gefällt mir"-Butten des Online-Netzwerks Facebook (Foto: AP Photo/Paul Sakuma)
Ein "Gefällt mir" kann Verbrechen aufklärenBild: dapd

In Hannover wurde nach Abschluss des Modellversuchs die Verbrechersuche auf der Facebook-Seite heruntergefahren: Auf der Pinnwand erscheint kein Steckbrief mehr, sondern ein Hinweis, dass ein Bankräuber gesucht wird. Darunter wird direkt auf die Homepage der Polizei verlinkt. Der Vorteil, so Dirk Hallmann vom Landeskriminalamt Niedersachsen, liege darin, dass die Daten so nicht auf die Server von Facebook gerieten, sondern auf den eigenen Servern blieben.

Bleibt die Frage, warum die Polizei ausgerechnet mit einer Internetplattform arbeitet, die die deutschen Datenschutzbestimmungen ganz und gar nicht erfüllt. "Jeder, der mit Facebook arbeitet, weiß um die Gefahren, die das mit sich bringt", sagt Dirk Hallmann. Allerdings weise man die User deutlich auf die Nutzungsbedingungen bei Facebook hin - zur Sicherheit, falls es jemandem doch nicht so bewusst sei.

Und wie präsentiert sich die Polizei als Vertreter des Staates mitten in einem Netzwerk, in dem es vor Partybildern, lustigen Links, markigen Sprüchen und spaßigen Minispielchen nur so wimmelt? "Angemessen", sagt Dirk Hallmann lachend. "Wir haben zwei hochmotivierte junge Kollegen, die das mit Herzblut machen, die aber auch darauf achten, dass ihr Slang nicht so locker wird, dass man die Behörde dahinter nicht mehr erkennt." Tatsächlich sieht es nett aus, wenn man auf der Seite der Polizei Hannover mit einem fröhlichen "Hallo Ihr da draußen" begrüßt wird.