1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verantwortung für die Lieferketten

Insa Wrede
13. Juli 2019

Internationale Unternehmen müssen sich darum kümmern, dass Sozialstandards auch bei ihren Zulieferern eingehalten werden. In Großbritannien und Frankreich wird das per Gesetz geregelt. Und in Deutschland?

https://p.dw.com/p/3LnTR
Bangladesch Werkstatt in Dhaka
Sicherheits und Gesundheitsschutz spielen keine große Rolle auf dieser Schiffswert in BangladeshBild: Reuters/M. Ponir Hossain

In einer perfekten Welt würden Unternehmen soziale Standards sowie Menschenrechte ihrer Mitarbeiter achten und dementsprechend keine Kinder beschäftigen, angemessene Löhne bezahlen und für die Sicherheit ihrer Angestellten sorgen. So eine Unternehmensstrategie verursacht in der Regel aber Kosten, und Kosten sind etwas, was Unternehmen scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Vor allem Unternehmen in Entwicklungsländern produzieren häufig besonders günstig, weil sie sich um all das nicht oder zu wenig kümmern. Davon wiederum profitieren deutsche Firmen, weil sie so Vorprodukte und Rohstoffe günstig einkaufen können. Natürlich wäre es in erster Linie Aufgabe des jeweiligen Staates, dafür zu sorgen, dass soziale Standards im eigenen Land eingehalten werden. Bei den Vereinten Nationen (UN) ist man aber der Meinung, dass auch Unternehmen eine Verantwortung für die Zustände in ihrer Lieferkette tragen sollen.

Jahrelange Prozesse - das Ergebnis: freiwillige Selbstverpflichtung

So haben die Vereinten Nationen 2011 sogenannte Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Demnach werden nicht nur Staaten verpflichtet, sich darum zu kümmern, dass Menschenrechte eingehalten werden, auch die Unternehmen werden in die Pflicht genommen.

Schnelle Ergebnisse gab es aber nicht. Zwar forderte die EU-Kommission noch im selben Jahr ihre Mitgliedsstaaten auf, Nationale Aktionspläne zu erstellen, um diese Leitprinzipien umzusetzen. Allein in Deutschland dauerte es aber weitere lange Jahre, bis Ende 2016 den Nationalen Aktionsplan (NAP) verabschiedet wurde. Federführend dabei: das Auswärtige Amt.

Baumwollernte in Ägypten
Kinder gehören nicht auf Baumwollfelder wie hier in Ägypten, sondern auf die SchulbankBild: picture alliance/NurPhoto/H. Elsherif

Per Gesetz wurde das Thema erst einmal nicht geregelt. Der NAP baut darauf, das deutsche Unternehmen freiwillig ihre Wertschöpfungsketten kontrollieren. "Wenn die Wirtschaft sagt, wir können das selbst, dann können wir ihnen ja zwei Jahre Zeit geben, die Vorgaben umzusetzen", sagt Michaela Spaeth, die Beauftrage für Klima und Menschenrechte im Auswärtigen Amt. Das Ziel ist, dass 2020 mindestens die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen, die Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben. Das sind rund 7100 Unternehmen.

Bis dahin wird geprüft. Erst 2020 könnten weitere Schritte erfolgen. So steht es im Koalitionsvertrag: "Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen." Ab August will die Bundesregierung Fragebögen an 1800 Unternehmen schicken. Nach der Auswertung der Antworten werde entschieden, ob der Gesetzgeber tätig werden muss oder es beim Aktionsplan bleibt.   

Infografik Kinderarbeit weltweit 2000 - 2016 (in Millionen) DE

Freiwilliges Handeln nur Augenwischerei?

Alle Zulieferer zu kontrollieren, ist für so manches Unternehmen kein leichtes Unterfangen. Mit zunehmender Globalisierung sind die Lieferketten sehr viel komplexer und unübersichtlicher geworden. Wie komplex kann man am Beispiel deutscher Autobauer sehen. So gibt BMW an, mit mehr als 12.000 Zulieferern in mehr als 70 Ländern zusammenzuarbeiten. In der Datenbank von Deutschlands größtem Autobauer VW stehen sogar mehr als 40.000 Zulieferer. Dementsprechend ist die Kontrolle der Lieferketten für Unternehmen mit zusätzlichem Aufwand und Kosten verbunden. Klappt da eine freiwillige Selbstverpflichtung?

Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, meint, viele Unternehmen verstünden ihre gesellschaftliche Verantwortung längst als strategisches Kernthema. "Haltung, Moral und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein sind keineswegs Profitbremsen, sondern entscheidende Faktoren für langfristigen ökonomischen Erfolg", so Böhning.

Vietnam - Farmer Fischt Shrimps
Die Umwelt leidet, wenn Mangroven zerstört werden, um Shrimp-Farmen anzulegenBild: Getty Images/AFP/Hoang Dinh Nam

Weniger optimistische Töne kommen von Nichtregierungsorganisationen. Sie glauben nicht an freiwillige Selbstverpflichtungen und fordern, dass der Gesetzgeber den Unternehmen verantwortungsvolles Handeln vorschreibt. "Freiwillige Ansätze, das zeigen die Erfahrungen der letzten 20 Jahre, haben die Probleme nicht lösen können", heißt es etwa vom Südwind-Institut. Die Kritik der Experten des UN-Sozialausschusses scheinen ihnen Recht zu geben. Sie hatten im Herbst 2018 das deutsche Vorgehen gerügt und ebenfalls gesetzliche Lösungen gefordert.

Den Arbeitgebern schmecken solche Töne weniger. So betont der Hauptgeschäftsführer von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, dass deutsche Unternehmen sich sehr für soziale und Umweltstandards einsetzen würden. "Das Störgefühl taucht bei den deutschen Arbeitgebern allerdings dann auf, wenn sie für Fehlverhalten Dritter, das sie selbst nicht kontrollieren können, plötzlich in Haftung genommen werden sollen und Rechtspflichten erfüllen sollen, die eigentlich in die staatliche Sphäre fallen." Hier werde aus einem Staatsversagen ein privates Haftungsrisiko gemacht, beklagt Kampeter.

Lieferketten im Zweifel vereinfachen

Aber ist es wirklich so, dass Unternehmen ihre Lieferketten gar nicht kontrollieren können? Deutschlands größter Autobauer Volkswagen gibt sich sehr fortschrittlich. Der Autobauer kündigte im Frühjahr an, seine Lieferkette stärker kontrollieren zu wollen. "Nachhaltige Lieferketten werden ein 'Hygienefaktor' werden", sagte Marco Philippi, im Konzern für die Beschaffung zuständig, der DW im Februar. Ziel sei es, die Lieferanten zu Nachhaltigkeit zu verpflichten. "Lieferanten, die nicht unseren Anforderungen entsprechen, werden wir ausschließen." 

Symbolbild Kinderarbeit in Bolivien
Kinderarbeit und keine Schutzmaßnahmen - eine Mine in BolivienBild: Aizar Raldes/AFP/Getty Images

Kampeter sagt, je kleiner die Unternehmen seien, desto schwieriger sei es, die Lieferkette zu kontrollieren. "Es gibt Großunternehmen, die sich sehr bemühen, die menschenrechtlichen Vorgaben umzusetzen", sagt Michaela Spaeth vom Auswärtigen Amt. "Wir werden sehen, inwieweit auch kleinere Unternehmen die Kapazitäten haben, soziale Standards in ihrer Lieferkette durchsetzen zu können."

Cornelia Heydenreich von Germanwatch hält dagegen: Unternehmen sollten in jedem Fall zur Verantwortung gezogen werden. "Diese global vernetzten, komplexen und verworrenen Wertschöpfungsketten sind ja nicht vom Himmel gefallen", sagt sie. Die Unternehmen müssten gegebenenfalls ihre Lieferketten vereinfachen und übersichtlicher gestalten, um sie zu kontrollieren.

Einen ersten Eindruck gibt der gerade veröffentlichte Zwischenbericht des Monitorings, das seit Herbst 2018 läuft. Im ersten Schritt wurden 30 Unternehmen befragt, inwieweit sie die Vorgaben des NAP umsetzen. Diese Stichprobe ist zu klein, um daraus repräsentative Ergebnisse zu ziehen. Aber es gibt schon einige interessante Aspekte. So haben viele der Unternehmen angegeben, schon vor der Veröffentlichung des NAP andere internationale Abkommen, wie den Global Compact der Vereinten Nationen, zu berücksichtigen.

Bemerkenswert ist aber auch, dass bei fast keinem Unternehmen die nachgelagerten Lieferanten dazu verpflichtet werden, ihre Unterlieferanten zur Einhaltung der Menschenrechte zu verpflichten. Und die Unternehmen geben an, dass ihr Einfluss auf die Wertschöpfungskette eingeschränkt sei, weil sie von einigen Lieferanten abhängig seien und aufgrund der Marktmacht von Lieferanten angestrebte Standards nicht ausreichend durchsetzen könnten.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion