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15 Jahre Wikipedia

Klaus Krämer14. Januar 2016

Wikipedia heißt: Kluge Menschen machen weltweit ihr Wissen für alle zugänglich und jeder kann mitmachen. Doch das Online-Wissensnetzwerk hat auch nach 15 Jahren noch Schwächen, meint der Wissenschaftler Rudolf Stöber.

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Prof. Dr. Rudolf Stöber
Bild: Privat

DW: Herr Professor Stöber, wie nutzen Sie als Kommunikationswissenschaftler Wikipedia?

Professor Stöber: Ich nutze Wikipedia vor allem als Erweiterung der Recherche und dazu, mir Anregungen zu holen, die ich dann vertiefen muss.

Welche Vorbehalte gibt es bei Ihnen hinsichtlich von Qualitätsstandards, Zuverlässigkeit und mangelnder Vertrauenswürdigkeit?

Das kann ich nicht generell beantworten, denn das hängt sehr vom thematischen Kontext ab. Artikel, die sich im allgemeinen politischen Diskurs, Stichwort "Flüchtlingskrise", befinden, sollte man mit Vorsicht genießen. Aber man kann ja die Versionsgeschichte einsehen. Grundsätzlich ist Wikipedia inzwischen ein sehr gutes Lexikon. Mein Hauptvorbehalt aus wissenschaftlicher Sicht richtet sich darauf, dass etliche Studierende und sogar manche Kollegen glauben, damit Wissenschaft betreiben zu können und das ist ein großes Missverständnis.

Das bedeutet also, dass die Quelle Wikipedia durch weitere Quellen abgesichert werden sollte?

Es sollte nicht, es muss. Das hängt auch damit zusammen, dass Wikipedia ein Lexikon ist. Ein Lexikon hat einen bestimmten Zustand an kondensiertem Wissen wiederzugeben. Das tut Wikipedia ganz ordentlich - mit den entsprechenden Abstrichen. Denn in der Tendenz werden die Artikel immer aufgeblähter. Im Vergleich zu Brockhaus und Encyclopedia Britannica wünschte ich mir präzisere und kürzere Informationen. Grundsätzlich bieten Lexika ein Wissenskondensat von Dingen, über die man mehr oder weniger Bescheid weiß - sie haben nichts mit der Hauptaufgabe der Wissenschaft zu tun, Fragen und Probleme zu stellen. Es beantwortet Wissensfragen nach dem Faktenwissen (Was-ist-Was), aber nicht nach dem problemorientierten Methodenwissen (Wie-geht-es).

Wo sehen Sie die größten inhaltlichen Schwachstellen von Wikipedia?

Symbolbild Wikipedia
Wikipedia-Logos der ersten JahreBild: picture-alliance/dpa

Ich kann sagen, dass mein eigenes Gebiet, die Kommunikationswissenschaft, schwach vertreten ist. Meine Kollegen vermissen bei den Qualitätsmanagement-Prozeduren das gleiche Niveau wie in wissenschaftlichen Publikationen. Wir fühlen uns zum Teil von Leuten beurteilt, die keine Spezialisten sind. Darum halten sich viele Wissenschaftler in meiner Wissenschaft zurück und ich nehme an, dass das in anderen Fachgebieten ähnlich ist. Und das legitimiert mich, die Studierenden darauf hinzuweisen, dass es auch Fachlexika, -zeitschriften und -bücher gibt.

Wikipedia ist nicht nur eine Wissensplattform, sondern manchmal auch Kampfplatz, auf dem um die korrekte Darstellung und die richtige Interpretation gefochten wird. Wie bewerten Sie dieses Ringen um Wahrheit?

Da hat Wikipedia einen unglaublichen Vorteil, indem sie die Versionsgeschichte veröffentlicht. Diese Transparenz ist positiv und sie macht Wikipedia schon fast zu einem Forschungsobjekt meines eigenen Fachs. Aber prinzipiell ist Tagesaktualität einem Lexikon unangemessen. Die Stärke dieses Lexikons auf sehr aktuelle Dinge einzugehen, ist gleichzeitig der Grund für seine Schwäche: Nämlich über die eigentliche Aufgabe eines Lexikons hinauszureichen, mehr als kondensiertes Faktenwissen zu präsentieren. Aber daran lässt sich strukturell nichts ändern.

Der Einfluss von Alias-Autoren

Bei Wikipedia wurden nach eigenen Angaben bisher 37 Millionen Artikel in fast 300 Sprachen verfasst. In den USA liegt das Online-Lexikon auf Platz sechs und in Deutschland auf Platz sieben der am meisten besuchten Websites. Dennoch wird Wikipedia immer wieder vorgeworfen, die Plattform sei anfällig für Vandalismus und inhaltliche Beeinflussung durch Unternehmen und Organisationen. Was ist dran an dieser Kritik?

Das habe ich statistisch nicht geprüft, aber es ist ein letztlich nicht zu lösendes Problem, dass es Einflussnahme von Alias-Autoren gibt, die ihre wahre Identität verbergen. Aufgrund der Raffinesse, mit der kaschierte PR-Einträge lanciert werden, merkt man das häufig nicht so schnell. Ich denke, das hängt zwangsläufig mit dieser offenen Community-Struktur zusammen und lässt sich nicht lösen.

Es ist aber ohne Zweifel sehr gravierend, man muss sich nur die Einträge von bestimmten Politikern anschauen, um die es sogenannte "Edit-Wars" gegeben hat oder Einträge in der englischen Wikipedia zum Ukraine-Russland-Konflikt. Dann weiß man, was gemeint ist. Man muss nur auf die Zahlen schauen, wie hochfrequent dort hin und her gewechselt wurde, schon weiß man: Aha, das ist ein problematischer Artikel. Wenn es zu bunt wird, werden solche Artikel aus der Diskussion herausgenommen.

In Deutschland verzeichnet Wikipedia über eine Milliarde Zugriffe im Monat. Während Wikipedia also mit wehenden Fahnen durchs World Wide Web segelt, verschwindet das Flaggschiff deutscher Enzyklopädien, der gute alte Brockhaus, allmählich in der Versenkung. Bedauern Sie das?

Brockhaus Lexika
Der Brockhaus - bis vor wenigen Jahren unverzichtbarer WissensvermittlerBild: picture-alliance/dpa

Ja, in gewisser Weise schon, aufgrund der Knappheit, Stringenz und Präzision früherer Lexika. Es ist bedauerlich, dass der Brockhaus und die Encyclopedia Britannica verschwunden sind. Diese Lexika hatten ein fein abgestuftes System unterschiedlicher Länge, je nach Wichtigkeit. Man kann natürlich dagegen halten, dass die Relevanz der Community auch nicht verachtet werden darf.

Professor Rudolf Stöber ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte und Hauptarbeitsbereiche betreffen den Wandel von Kommunikation, Öffentlichkeit und Medien.

Das Interview führte Klaus Krämer.

Literaturhinweis:
Stöber, Rudolf: Neue Medien. Geschichte von Gutenberg bis Apple und Google. Medieninnovation und Evolution. Bremen: edition lumière 2013 (Presse und Geschichte - Neue Beiträge, Bd. 72).