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Konservative attackiert Merkel

Bernd Gräßler23. August 2012

Die bisher schärfste Abrechnung mit dem Regierungsstil von Angela Merkel: In dem Buch "Die Patin" beschreibt eine Publizistin mit CDU-Parteibuch die Kanzlerin als Gefahr für die Demokratie. Es soll ein Weckruf sein.

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Berlin/ Die Literaturwissenschaftlerin, Publizistin und Unternehmensberaterin Gertrud Hoehler gestikuliert am Donnerstag (23.08.12) in Berlin bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung ihres Buches "Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut". Das Buch erscheint im Schweizer Verlag "orell fuessli". (zu dapd-Text) Foto: Oliver Lang/dapd
Bild: dapd

"Die Patin" ist ein Buch, das die Kanzlerin vermutlich nicht lesen wird. Jedenfalls wird kolportiert, Angela Merkel habe bereits einen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienenen Auszug nach den ersten Zeilen empört beiseite gelegt. Trotzdem hat der 300-seitige "Anti-Merkel" aus der Feder der 71-jährigen Publizistin und einstigen Kohl-Vertrauten Gertrud Höhler das Zeug zum Bestseller im politischen Berlin. Bei der Buchvorstellung im Haus der Bundespressekonferenz drängelten sich am Donnerstag (23.08.2012) über 80 Journalisten und sechs Fernsehteams.

Denn in Höhlers Buch geht es um mehr als die sattsam bekannten Vorwürfe, Merkel räume alle männlichen Konkurrenten aus dem Weg, die Kanzlerin habe keine Werte verinnerlicht und sie treffe Entscheidungen erst dann, wenn sie wisse, wohin sich die Waage neigt.

Merkel, die im politischen Berlin bereits seit längerem den Spitznamen "Mutti" trägt, wird in Höhlers Buch zur "Patin", die eine "leise Variante autoritärer Machtentfaltung etabliert, die Deutschland so noch nicht kannte". Ideenklau beim politischen Konkurrenten, die zunehmende Nivellierung des Parteiensystems, der nachlässige Umgang mit Rechtsnormen, ethischen Standards, mit Parlament und Verfassung – zuletzt häufig gerügt vom Bundesverfassungsgericht – kurzum: Der Verfall der politischen Sitten geht aus der Sicht der Autorin auf das Konto des "Systems M".

"Deutscher Maßanzug" für Europa

Das könne, so wird unterschwellig suggeriert, mit jenen 35 Jahren zusammenhängen, die Angela Merkel unter dem diktatorischen Regime im Osten Deutschlands verbrachte. Denn niemand wisse so genau, was Angela Merkel antreibe, die in der DDR gelernt habe, zwischen den Zeilen zu lesen, besonders leise aufzutreten, nie zu viel zu sagen und misstrauisch zu sein, erklärte die Autorin während der Buchvorstellung.

"Wie Angela Merkel Deutschland umbaut", lautet der Untertitel von "Die Patin". Doch Sorgen vor Merkels Machtgier müssen sich aus Höhlers Sicht auch die anderen Europäer machen, denn die Kanzlerin verpasse Europa gerade einen "deutschen Maßanzug".

Was die Autorin an Fakten über schleichenden Demokratieverlust in Deutschland und Europa zusammengetragen hat, ist nicht neu. Neu ist die auf den ersten Blick übertrieben erscheinende Rolle, die Merkel in diesem Prozess zugeschrieben wird. Dies offenbart, wie sehr sich einige Konservative in der CDU durch Merkels Machtanspruch und ihre "Werte-Abstinenz, Coolness und Leidenschaftslosigkeit", so Höhler, "herausgefordert und in die Enge getrieben fühlen." Der abrupte Wechsel in der Atompolitik, den Merkel praktisch über Nacht im Alleingang durchsetzte, die Abschaffung der Wehrpflicht, das Abrücken von Steuersenkungsabsichten und die zunehmende Aufgabe des klassischen Familienbildes – neuerdings wird in der CDU über die steuerliche Gleichstellung homosexueller Ehen diskutiert – verunsichern die Partei, von der Spitze bis hin zur Basis.

"Patin"-Autorin Gertrud Höhler besitzt selbst seit langem das CDU-Parteibuch und diente unter anderem Helmut Kohl als Beraterin.

Die Faust in der Tasche

Höhlers Buch trägt die Widmung: "Für alle, die die Faust noch in der Tasche haben." Wie viele das in der CDU selbst sein mögen, ist ungewiss. Die Partei gilt schon seit Adenauer als "Kanzlerwahlverein" und schließlich ist und bleibt es Merkels ungebrochene Popularität, die am ehesten den Verbleib an der Macht über die Bundestagswahlen 2013 hinaus verheißt. Ein parteiinterner Sturz Merkels ist deshalb unwahrscheinlich. Wer in der CDU Karriere machen will, vermeidet es, die Kanzlerin und Parteivorsitzende zu verärgern. Das riskieren höchstens altgediente Parteisoldaten, die nichts mehr werden wollen. Dazu zählt der 72-jährige Josef Schlarmann, immerhin Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung. Er beklagte jüngst, die Partei empfange nur noch Anweisungen. Zaghafte Versuche, sich gegen den Merkelschen Kurs zu stemmen, sind bisher stets gescheitert.

Zuletzt hatte der "Berliner Kreis" von 30 bis 40 christdemokratischen Bundes- und Landespolitikern angekündigt, mit einem "konservativen Manifest" einen Kontrapunkt zur zunehmenden Übernahme gesellschaftspolitischer Vorstellungen von SPD und Grünen zu setzen. Dazu würden sie durch tausende von Zuschriften von Mitgliedern und Sympathisanten der Partei ermuntert, verkündeten die Initiatoren. Doch die für diese Woche geplante Vorstellung des konservativen Positionspapiers in Berlin wurde kurzfristig abgesagt. Wegen der Sommerferien sei man nicht rechtzeitig fertig geworden, hieß es. Ein neuer Termin für den Herbst ist angekündigt. Angela Merkel, gerade wieder von der US-Zeitschrift "Forbes" zur mächtigsten Frau der Welt gekürt, dürfte mit gewohnter Gelassenheit abwarten.