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Streit um das Kopftuch

Marina Martinovic26. Februar 2016

In Bosnien-Herzegowina wird zurzeit eine heftige Debatte über das Tragen des Kopftuchs in Justizbehörden geführt. Muslimische Juristinnen wollen ein Verbot nicht hinnehmen, Kopftuch-Kritiker sagen dies sei nötig gewesen.

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Bosnien und Herzegowina Laden mit Hijjab (Foto: DW/Z. Ljubas)
Geschäft mit Hijjab in SarajevoBild: W/Z. Ljubas

Seit 20 Jahren trägt Aldina Suljagić-Piro schon ihr Kopftuch, den sogenannten Hidschab. Die 33-jährige Diplom-Juristin aus der ostbosnischen Stadt Tuzla kämpft offen für ihr Recht auf das Tragen des Kopftuchs im Gerichtssaal. Doch für muslimische Frauen in Bosnien-Herzegowina, die in dortigen Gerichten arbeiten oder dies beabsichtigen und gleichzeitig aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, könnte dies in Zukunft wohl unmöglich werden. Denn der Hohe Gerichts- und Anwaltschaftsrat Bosnien-Herzegowinas hat seine Entscheidung vom September 2015 bestätigt, in der die Führungskräfte der Justizinstitutionen des Landes darauf hingewiesen werden, dass die Angestellten ein Verbot des Tragens religiöser Symbole einzuhalten hätten, wie das in einer Erklärung dieses Rates steht. Diese Verordnung des Rates bezieht sich auf die gesetzlichen Regelungen auf verschiedenen staatlichen Ebenen über das Verbot der Vorzeigung jeder Art der religiöser, politischer, nationaler oder anderer Zugehörigkeit in den Justizbehörden des Landes.

Für Aldina Suljagić-Piro und ihre Kolleginnen ist das ein regelrechter Schlag ins Gesicht, vor allem deswegen, weil vor dieser Entscheidung keine öffentliche Debatte darüber geführt wurde. "Mir tut es Leid, dass der Rat es nicht für nötig empfunden hat, bevor er die Verordnung beschlossen hat, sich selbst eine Möglichkeit zu eröffnen Personen mit einem Kopftuch kennenzulernen und sich davon zu überzeugen, dass kein einziger Grund oder Anlass für solch ein entwürdigendes Handeln besteht", sagte Suljagić-Piro der DW.

Moschee und katholische Kirche in Sarajevo (Foto: Samir Huseinovic)
Bosnien hat eine lange Tradition des interreligiösen ZusammenlebensBild: Samir Huseinovic

"Ohne das Kopftuch wäre ich nicht ich"

Obwohl sich das Verbot auf alle religiösen Symbole bezieht, also auch auf christliche Kreuze, hat sich der meiste Unmut unter der muslimischen Bevölkerung geregt. Denn das Kopftuch sei kein religiöses Symbol, sagt die junge Juristin Aldina Suljagić-Piro. Der Hidschab sei die "Identität einer Muslimin" und eine islamische Pflicht. "Ohne das Kopftuch wäre ich nicht ich", sagt sie.

Damit ist sie nicht die einzige Akademikerin mit Kopftuch in Bosnien-Herzegowina, die so denkt. Dževada Šuško ist Direktorin des Instituts für die islamische Tradition der Bosniaken. Sie fürchtet jetzt, dass die Frauen mit Kopftuch, die bereits in Gerichten in Bosnien-Herzegowina arbeiten, ihren Job verlieren könnten. Nach ihren Informationen gibt es zurzeit etwa 20 solcher Frauen. Trotzdem ist sie auch froh darüber, dass dadurch eine Diskussion über das Kopftuch angestoßen wurde. "Wenn wir in einem demokratischen Staat leben, dann ist das sehr wohl wichtig eine öffentliche Debatte zu führen über eine Frage, welche offensichtlich mit der Stellung der Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum zu tun hat“, betont Šuško. Die Historikerin und Politikwissenschaftlerin, sagt, dass solche Debatten über das Kopftuch auch in Deutschland geführt werden, aber in einem anderen Kontext, da der Islam in Bosnien-Herzegowina nicht erst seit einigen Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten präsent ist. Die Debatten darüber hätten auch einen sozialistischen Kontext, weil das Land im letzten Jahrhundert ein Teil des sozialistischen Jugoslawiens war. "In Bosnien-Herzegowina gibt es dieses Verständnis, dass die Religion überhaupt nicht präsent sein sollte im öffentlichen Raum."

"Rückkehr in das finstere Mittelalter"

Genau so ein Verständnis von Religion in der Gesellschaft und Säkularisierung vertritt die Orientalistin und Autorin Jasna Šamić, die seit Jahrzehnten zwischen Sarajevo und Paris lebt. Sie findet es gut wenn religiöse Symbole verbannt würden aus öffentlichen Ämtern und vor allem gerichtlichen Institutionen. "Die Religion sollte endlich in die private Sphäre gestellt werden", meint Šamić. Das Kopftuch, so wie es die heutigen Muslima in Bosnien-Herzegowina tragen, sei ein Import der Mode aus Saudi-Arabien und hänge somit auch eng mit den salafistischen Gruppen im Land zusammen, sagt Šamić. Für sie bedeutet der Hidschab im öffentlichen Raum eine "Rückkehr hin zu einem freiheitsraubendem System oder dem finsteren Mittelalter".

Diese Meinung kann die deutsche Islamwissenschaftlerin Armina Omerika nicht verstehen. Sie betont sogar, dass die Entscheidung über die Einhaltung des Verbots von religiösen Symbolen ganz und gar nicht zur Säkularisierung des Landes beitrüge und es auch nicht der Gleichberechtigung diene: "Frauen haben es ohnehin schwer an Jobs heranzukommen. Und wenn sie jetzt eine Gruppe von qualifizierten Frauen explizit aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes da ausschließen, dann haben sie eine Situation in der die bestehenden Ungleichheiten noch zusätzlich vertieft werden." Und was die Emanzipation muslimischer Frauen angehe, fügt Omerika hinzu, hätten ähnliche Debatten in Deutschland ja gezeigt, dass ein Verbot nur eine Sperre bedeuten könne in Richtung Emanzipation. "Junge Frauen werden qualifiziert, sie haben die Ausbildung, und dann wird ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt.“

Eine gesetzliche Regelung muss her

Omerika sieht die Lösung des Problems in einer gesetzlichen Regelung über religiöse Symbole."Diese Regelung muss aber auch unter der Berücksichtigung der Argumente stattfinden, die jetzt in der Öffentlichkeit zusammengetragen worden sind", sagt Omerika.

Armina Omerika
Armina Omerika: "Man braucht eine gesetzliche Regelung"Bild: picture-alliance/dpa/H. Hanschke

Juristin Almedina Suljagić-Piro wil auf ihr Kopftuch keinsesfalls verzichten: "Wegen einer Entscheidung des Hohen Gerichts- und Anwaltsschaftsrates Bosnien-Herzegowinas werde ich persönlich nicht nachgeben und auch nicht meine Pläne über eine eigene Anwaltskanzlei aufgeben. Im Gegenteil, diese unliebsamen Ereignisse sind für mich eine zusätzliche Motivation mein Kopftuch zu rechtfertigen und in meinem Beruf noch professioneller und besser zu werden."