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Uhren gehen nach - der Kosovo ist schuld

7. März 2018

Alle Digitaluhren in Europa, die ihren Takt aus dem Stromnetz beziehen, gehen seit Wochen um einige Minuten nach. Der Grund hört sich skurril an: Abstimmungsprobleme zwischen den Netzbetreibern in Kosovo und Serbien.

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Symbolbild Mikrowelle
Bild: Colourbox

Seit Mitte Januar haben es die Stromversorger in Kosovo und Serbien nicht geschafft, ihre Stromnetze gegenseitig sauber auszubalancieren. Eigentlich sind sie nach den Netzgesetzen (grid-codes) des Verbandes Europäischer Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E verpflichtet, die Stromfrequenz im Mittel auf 50 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) zu halten. Dazu müssen sie sich gegenseitig kurzfristig mit Energie aushelfen. 

Doch in diesem Jahr war die mittlere Frequenz niedriger, weil die Stromversorger nicht miteinander sprechen und sich gegenseitig nicht helfen. Dies führte zu Leistungsdefiziten des erweiterten regionalen Netz-Kontrollgebietes Serbien, Mazedonien und Montenegro - des sogenannten SMM-Blocks. Insgesamt entsprachen die Frequenzabweichungen 113 Gigawattstunden. Das entspricht der Tagesleistung eines größeren modernen Braunkohlekraftwerks.

Niedrigere Frequenz heißt auch: Weniger Energie

Mitglied in der ENTSO-E sind36 Staaten, deren Stromnetze miteinander gekoppelt sind - von Spanien bis Norwegen und von der Türkei und Estland bis auf die britischen Inseln. Die aktuellen Frequenzverschiebungen des Wechselstrom-Taktes wirken sich dabei in 25 Mitgliedsstaaten aus. 

Das führt dazu, dass Uhren, die ihren Takt aus dem Stromnetz beziehen - insbesondere netzabhängige Radiowecker oder Uhren an Hausgeräten wie Herden oder auch an Stereoanlagen - seit Beginn der Probleme immer mehr Zeit verloren haben. Sie gehen derzeit etwa sechs Minuten nach.

Kohlekraftwerk Obiliq im Kosovo
Kosovo erzeugt den Großteil seines Stroms mit Braunkohle - hier im Kraftwerk ObiliqBild: DW/E.Ahmeti

Besser sechs Minuten verlorene Zeit als eine Stromsperre

Um die erforderliche Frequenz von 50 Hertz zu gewährleisten gibt es eine sogenannte Primärregelung. Dabei handelt es sich um einen technischen Mechanismus, der sicherstellen soll, dass Leistungsschwankungen schnell und unauffällig ausgeglichen werden. Die Regelung zieht etwa Leistung aus Batterien oder von anderen Kraftwerken aus dem Netz hinzu, um Zeit zu überbrücken, bis andere Kraftwerke, die gerade hochgefahren werden, ihre volle Leistung erreichen.

Gelingt dieser Ausgleich technisch nicht, setzt normalerweise ein fünf-Stufen-Plan ein. Fällt die Netzfrequenz unter 49,8 Hertz, müssen in einem ersten Schritt weitere Primärregelreserven aktiviert werden. Gelingt es auch so nicht, das Stromnetz zu stabilisieren, müssen die Betreiber einzelne Verbraucher abtrennen. Dies kann - wenn die Frequenz unter 47,5 Hertz fällt - sogar zu einem Blackout führen.  

Zu einem dauerhaften Frequenzabfall, wie derzeit, ist es bisher im europäischen Verbundnetzwerk noch nicht gekommen. "Eine längerfristige Nichteinhaltung dieser Regeln eines Partners ist mir bislang nicht bekannt", sagt Christian Rehtanz, Professor am Institut für Energiesysteme der TU-Dortmund. "Daher ist die Situation neu, aber dringend zu beheben."

Er könnte sich vorstellen, einzelne kleine Netzgebiete vom Rest des Verbundes zu trennen, warnt aber vor möglichen Folgen. "Das Dilemma ist, dass politisch kein Blackout in einer Region riskiert werden sollte, aber anders herum politisches Handeln Einzelner den sicheren Betrieb des Gesamtsystems auch nicht gefährden darf." 

Mehr dazu: Leistungselektronik revolutioniert die Stromnetze

Deutschland BdT Hochspannungsleitung bei Sonnenaufgang
Bei Unregelmäßigkeiten in der Versorgung springen die Nachbarn einBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Nicht nur ein technisches, sondern auch ein politisches Problem

Die ENTSO-E hat jedenfalls die Mitgliedsstaaten dringend aufgerufen neben der technischen Lösung des Problems auch eine politische Lösung zu finden. Grundsätzlich ist nämlich nicht vorgesehen, dass andere Staaten über lange Zeit Primärregel-Energie zuschießen, um regionalen Defizite auszugleichen. Dennoch besteht kein Grund zur Panik.  

Frequenzabweichungen seien bei Normalbetrieb im kontinentaleuropäischen Verbundnetz bis zu einer Größe von einem Prozent (49,5 Hz – 50,5 Hz) für ca. 44 Stunden im Laufe eines Jahres zulässig, sagt Jutta Jansen, die den Lehrstuhl für elektrische Energieversorgung unter Einsatz erneuerbarer Energien an der TU-Darmstadt innehat. "Dies verdeutlicht, dass die während der letzten zwei Monate häufig aufgetretenen minimalen Frequenzwerte von ca. 49,95 Hz (99,9 Prozent) für den Netzbetrieb zunächst nicht kritisch erscheinen."

Dass die Uhren vorübergehend nachgehen sei "eine unangenehme, aber sicherlich nicht als kritisch einzuschätzende Erscheinung", sagt die Darmstädter Professorin. Langfristig wird das irgendwann wieder durch eine minimale Erhöhung der Taktfrequenz ausgeglichen. Also die Uhren besser nicht zu früh stellen, sonst muss man sie hinterher wieder zurückkorrigieren.