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Kraft tanken am Meiji-Schrein in Tokio

4. April 2011

In Japan gibt es rund 100.000 registrierte Shinto Schreine. Viele Japaner besuchen den Meiji-Schrein in Tokio, um zu beten und Kraft zu tanken. Sie denken dabei auch an die Opfer der Erdbebens und des Tsunami.

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Der Meiji-Schrein in Tokio (Foto: Silke Ballweg / DW)
Der Meiji-Schrein in TokioBild: DW/Silke Ballweg

Für Japaner beginnt ein Besuch an einem Shinto-Schrein traditionell mit Wasser. Auch am Meiji-Schrein in Tokio plätschert es aus zwei Bambusrohren in einen länglichen steinernen Trog.

Rituelle Reinigung

Wasser zur rituellen Reinigung vor dem Schrein (Foto: Silke Ballweg)
Wasser zur rituellen Reinigung vor dem Schreinbesuch steht bereitBild: DW/Silke Ballweg

Mit kleinen Kellen schöpfen die Besucher etwas Wasser, gießen es über die linke Hand und fahren sich dann mit den benetzten Fingern über die Lippen. Anschließend waschen sie sich die Hände. Diese rituelle Reinigung soll schlechte Worte und schlechte Taten wegspülen, so die Idee dahinter. Streng genommen darf der Besucher erst danach den Schrein betreten.

Der Shintoismus ist die traditionelle Religion in Japan. In der Vorstellung des Shinto ist die gesamte Welt von Göttern bewohnt. In jedem Baum, jedem Stein, im Wind oder in der Erde lebt ein Gott. Dem Glauben nach sind auch die Gebäude eines Schreins von einem Gott bewohnt. Wenn man die Gottheit begrüßen will, wirft man vor dem heiligen Gebäude etwas Geld in einen Holzkiste, klatscht zweimal in die Hände und verneigt sich dann.

Ruhe und Entspannung bei den Göttern

An diesem sonnigen Nachmittag sind mehrere Besucher an den Meiji-Schrein gekommen. Der Schrein liegt inmitten eines schönen Parks im Zentrum Tokios. Er ist der größte Schrein in der japanischen Hauptstadt. Und wegen seiner Lage auch der populärste.

Yasuko Onuma (Foto: Silke Ballweg / DW)
Denkt am Schrein auch an die Erdbebenopfer - Yasuko OnumaBild: DW/Silke Ballweg

Yasuko Onuma, 26, eine Büroangestellte aus Tokio, war an diesem Nachmittag ohnehin in der Gegend. Bei der Gelegenheit wollte sie den Schrein und seinen Park mal wieder besuchen. Es habe sich gelohnt, sagt die junge Japanerin: "Ich fühle mich jetzt erfrischt und habe Kraft getankt, es war ein schöner Spaziergang. Außerdem gefällt mir die ruhige Atmosphäre hier am Schrein, die genieße ich."

Beten für ein Ende der Krise

Anders als in Europa, wo Religion für gläubige Menschen eine spirituelle Bedeutung besitzt, ist der Umgang der Japaner mit religiösen Zeremonien eher locker. Wie die meisten Japaner fühlt Yasukos Onuma sich gleich mehreren Glaubensrichtungen zugehörig. Sie sieht sich als Shintoistin und als Buddhistin zugleich, und sie hat überhaupt kein Problem damit, die verschiedenen Ideen und Praktiken miteinander zu kombinieren.

Der Schreinbesuch habe für sie nicht wirklich etwas mit tiefen Gefühlen zu tun. Zwei oder drei Mal pro Jahr gehe sie an einen Schrein. Heute sei sie wegen des schönen Wetters gekommen, gebetet habe sie dafür, dass sich die Situation in Fukushima bald zum Besseren wenden möge. "Ich bin wegen des tragischen Erdbebens hierher gekommen. Und jetzt haben wir das Problem mit dem Atomkraftwerk, um das ich mir Sorgen mache."

Ventil für die eigenen Nöte

Betende Frauen am Meji-Schrein (Foto: Silke Ballweg / DW)
Bitten an die Götter – Ema heißen die kleinen Holztäfelchen, auf die die Gläubigen ihre Wünsche schreibenBild: DW/Silke Ballweg

Viele die hierher kommen, denken - so wie Yasuko Onuma - für einen kurzen Moment an die Opfer des Erdbebens und des Tsunami. Doch da der befürchtete Super-Gau bisher nicht eingetreten ist und die Unsicherheit am AKW auch noch Wochen so weitergehen kann, ist das Gefühl einer akuten Krise bei vielen Menschen mittlerweile gewichen. Bei den meisten stehen die Sorgen und Probleme des eigenen Lebens wieder im Mittelpunkt. Der 21 Jahre alte Kaname Aoki etwa hat am Schrein für sich um Unterstützung gebeten. Er sucht einen Job. "Im Moment ist es in Japan schwer, es gibt viele Arbeitslose, und deswegen bin ich jetzt hierher gekommen: Ich bitte um Hilfe bei der Arbeitssuche."

Aoki stammt aus der Stadt Nagoya im Südwesten von Tokio und hält sich für ein paar Tage in der Hauptstadt auf. Hier hat er einige Vorstellungsgespräche. Der junge Mann trägt einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd. Obwohl er eigentlich nur eine Stelle als Brillenverkäufer sucht, bekommt er seit mehr als vier Monaten nur Absagen. "In Japan ist es so, dass die Generation der heute 40- und 50-jährigen sehr stark ist", erklärt er. "In diesem Alter scheidet natürlich niemand aus dem Job aus. Deswegen ist es für uns Junge schwierig, ins Arbeitsleben reinzukommen."

Holztäfelchen mit Botschaften an die Götter

Am Meiji-Schrein hat Aoki ein sogenanntes Ema beschriftet. Ema sind kleine Holztäfelchen, die an fast jedem Schrein verkauft werden. Auf diese Brettchen schreiben die Gläubigen ihre Bitten und Wünsche an den Gott und hängen sie dann an einen Haken an einem langen Brett. Hunderte solcher Ema baumeln hier am Meiji-Schrein. Auf den meisten bitten die Menschen darum, dass sie eine wichtige Prüfung bestehen mögen. Dass sie gesund bleiben. Oder dass sich ein bestimmtes Problem lösen soll. Aoki bittet darum, dass er bald eine Arbeitsstelle findet. Und vielleicht können die Götter ja auch in Fukushima helfen, fügt er dann noch murmelnd hinzu.

Autorin: Silke Ballweg
Redaktion: Ana Lehmann