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Politik

Kreml-Kritiker auf der Intensivstation

Roman Goncharenko
3. Februar 2017

In Russland ringt der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa erneut um sein Leben. Vor zwei Jahren lag er mit ähnlichen Symptomen im Krankenhaus und glaubte, er sei vergiftet worden.

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Wladimir Kara-Mursa Boris Nemzow
Wladimir Kara-Mursa im Jahr 2014Bild: Getty Images/A. Wong

Zum zweiten Mal in weniger als zwei Jahren schwebt der russische Oppositionspolitiker und Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa in Lebensgefahr. Er wurde am Donnerstag in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert. Der behandelnde Arzt schätzte seinen Zustand als kritisch ein, sagte sein Anwalt und Vertrauter Vadim Prochorow der DW. Wegen eines multiplen Organversagens sei Kara-Mursa in ein künstliches Koma versetzt worden. Eine Diagnose gebe es noch nicht, doch die Symptome seien ähnlich wie schon im Jahr 2015. 

Ende Mai 2015 brach bei Kara-Mursa zum ersten Mal eine plötzliche Krankheit aus. Auch damals lag er im Koma und verbrachte Wochen auf der Intensivstation. Der Oppositionelle ließ sich später im Ausland untersuchen. Ärzte stellten eine erhöhte Konzentration von Schwermetallen in seinem Körper fest. Kara-Mursa vermutete eine Vergiftung aus politischen Gründen und bat das Ermittlungskomitee, Russlands oberste Strafverfolgungsbehörde, ein Verfahren einzuleiten. Das sei bisher nicht geschehen, so sein Anwalt.

Opposition zu Putin, Nähe zu Nemzow

Der 35-jährige Kara-Mursa ist Sohn des renommierten gleichnamigen Fernsehmoderators. Anders als sein Vater ist Kara-Mursa Junior einem breiten Publikum in Russland weniger bekannt. Er studierte Geschichte an der englischen Elite-Universität Cambridge und trat zunächst als Journalist in die Fußstapfen seines Vaters. Ende der 1990er Jahre zog es ihn immer stärker in die Politik. Wladimir Kara-Mursa wechselte drei Mal die Partei, blieb jedoch stets in der Opposition zur Regierung des Präsidenten Wladimir Putin.

Zuletzt war der Politiker Vorstandsmitglied in der rechtsliberalen oppositionellen Partei PRR-Parnas, die er jedoch im Dezember 2016 verließ. Hintergrund war sein Protest gegen die Zusammenarbeit der Partei mit nationalistischen Politikern. Seit 2016 ist Kara-Mursa der Ratsvorsitzende der im selben Jahr gegründeten Nemzow-Stiftung für Freiheit, benannt nach dem im Februar 2015 ermordeten Oppositionsführer Boris Nemzow. Auch Nemzow war bei Parnas. Kara-Mursa war mit ihm eng befreundet und gehörte zu seinen Beratern. Zu seiner ersten rätselhaften Krankheit kam es drei Monate nach der Ermordung von Nemzow in Moskau.

Kurz vor seiner zweiter Erkrankung habe Kara-Mursa einen Antrag auf einen Nemzow-Marsch - eine Gedenkkundgebung - bei der Moskauer Verwaltung eingereicht, erzählte der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin der DW. "Selbstverständlich machte sich Kara-Mursa Sorgen um sein Leben", sagte Jaschin. "Er brachte seine Familie in die USA, kehrte aber selbst zurück und machte seine Arbeit weiter." Es sei ein mutiger Schritt gewesen. 

Druck vor der Parlamentswahl

Außer in der Nemzow-Stiftung engagiert sich Kara-Mursa in der Nichtregierungsorganisation "Offenes Russland" des ehemaligen Öl-Magnaten und Kreml-Kritikers Michail Chodorkowskij, der nach zehn Jahren Haft im Ausland lebt. Im November wurde Kara-Mursa in den Vorstand der Bewegung gewählt. Chodorkowskij wollte sich zunächst zu der erneuten Erkrankung von Kara-Mursa nicht äußern. "Ja, es gab bestimmten Druck auf Wladimir, wir sehen das", sagte Chodorkowskij am Donnerstag Nemzows Tochter und DW-Reporterin, Zhanna, für ihre Sendung "Nemtsova.Interview". "Doch leider gibt es in unserem Land ein Risiko für jeden politischen Aktivisten."

Russland Präsident Vladimir Putin
Bild: picture alliance/V. Prokofyev/TASS/dpa

Chodorkowskij bezog sich damit wohl auch auf Fälle kurz vor der Parlamentswahl im September 2016. In Sankt-Petersburg war Kara-Mursa zusammen mit einigen Oppositionspolitikern kurzzeitig festgenommen worden. Der Vorwurf: "eine nicht genehmigte Kundgebung". Ein paar Wochen später haben Unbekannte ihn in einem Café mit Eiern beworfen.

Aufrufe zu westlichen Sanktionen

Mehrmals setzte sich Kara-Mursa für westliche Sanktionen gegen russische Spitzenpolitiker ein und machte sich damit offenbar mächtige Feinde. Nach Nemzows Mord reiste er im April 2015 zusammen mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Oppositionspolitiker Michail Kassjanow nach Washington. Die beiden übergaben den Abgeordneten des US-Kongresses die sogenannte "Nemzow-Liste". Darauf stehen acht Namen hochrangiger russischer Journalisten und Politiker, die für öffentliche Hetze an Nemzow verantwortlich sein sollen. Kara-Mursa und Kassjanow appellierten an die US-Regierung, Sanktionen wie Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen diese Personen einzuführen.

Auch während der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 sprach sich Kara-Mursa in einem Artikel in der "Washington Post" für Sanktionen gegen russische Spitzenpolitiker aus. Und im Jahr 2009 hatte er versucht, Konsequenzen aus dem Tod des russischen Anwalts und Korruptions-Bekämpfers Sergej Magnitskij zu erwirken. Dieser war 2009 im Gefängnis gestorben. Die USA machten Russland für seinen Tod verantwortlich und führten Ende 2012 Sanktionen ein.