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Ein Typ wie das Land!

Volker Wagener9. März 2016

Seine Sprache ist Südwest-Dialekt pur, sein Parteibuch ist grün, doch im Habitus ist Winfried Kretschmann der geborene Konservative. Der Ministerpräsident Baden-Württembergs punktet weit über die Parteigrenzen hinaus.

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Winfried Kretschmann (Foto: Soeren Stache/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bundesländer, die sich mit Bindestrich schreiben, haben ein Problem. Ein Identitätsproblem. Irgendwann erfand Baden-Württemberg seinen Werbespruch: "Wir können alles, außer hochdeutsch!" Das wirkt seitdem identitätsstiftend im Land der Mittelständler, der Autobauer, der braven Sparer. Aus einem Komplex wurde ein Hit. Mittlerweile ein personifizierter. Keiner lebt dieses Regional-Kolorit authentischer als Winfried Kretschmann. Deutschlands erster und einziger grüner Ministerpräsident ist ein Ökologe der ersten Stunde, doch die Wirtschaft muss ihn nicht fürchten. Im Gegenteil: Treue CDU-Wähler wie der Vorzeige-Mittelständler und T-Shirt-Hersteller Wolfgang Grupp, votieren inzwischen öffentlich für Kretschmann. Und selbst bei den Autobauern Mercedes und Porsche ist kein schlechtes Wort über die Industriepolitik des grünen Landesvaters zu hören.

Tag der deutschen Einheit 2013 Feier in Stuttgart Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: REUTERS/Michael Dalder (GERMANY - Tags: POLITICS)
Ziemlich beste Freunde im Geiste. Kretschmann findet Merkels Flüchtlingspolitik richtig und alternativlosBild: Reuters

Kritik erntet er eher aus dem eigenen Lager. Etwa wenn in der Flüchtlingsdebatte die Zahl der sicheren Herkunftsländer erhöht werden soll und Kretschmann Zustimmung signalisiert. Ihm ergeht es ähnlich wie Angela Merkel: Beide stehen bei Teilen ihrer jeweiligen Parteien im Feuer der Kritik, beide ernten Applaus und Bewunderung auch beim politischen Gegner.

Die Versöhnung der Industrie mit der Umwelt

Dass Winfried Kretschmann das Wirtschaftswunderland Baden-Württemberg seit 2011 überhaupt regieren darf, verdanken er und seine Partei einem besonderen Umstand. Die Endphase des Wahlkampfs vor fünf Jahren stand ganz im Zeichen des Reaktorunglücks in Fukushima. Die Grünen, die Anti-Atompartei, erlebten einen demoskopischen Hype, der dann auch an der Urne in Baden-Württemberg nicht Halt machte. Aber auch die nüchterne Bodenständigkeit der Südwest-Grünen, die so gar nichts mit den Parteifreunden vom linken Flügel in Berlin oder Hamburg gemeinsam haben, gilt als Wegbereiter der Grünen an die Macht. Hier im Südwesten gelten die Grünen als Partei der ökologischen Wohlstandsgesellschaft. Und Kretschmann ist ihr Anführer.

Nicht jedes ökologische Liebhaberthema hat der Naturfreund mit dem markanten Bürstenhaarschnitt protegiert. Stattdessen hat Kretschmann – ganz in Unionsmanier seines Landes – Politik für Arbeitsplätze betrieben. Er tritt als Repräsentant für Daimler auf und die Wirtschaft dankt es ihm und seiner Partei mit Spenden in erheblicher Größenordnung. Grün sein, pragmatisch sein und Macht ausüben zu wollen, ist hier kein Widerspruch. Die Grünen im Südwesten und allen voran Winfried Kretschmann wirken wie eine moderne CDU. Was viel über das Bundesland und noch mehr über den schlechten Zustand der Südwest-CDU aussagt.

Deutschland Winfried Kretschmann neuer Dienstwagen Immendingen (Foto: Copyright: picture-alliance/dpa/F. Kästle)
Keine Berührungsängste: Auch die Automobilindustrie fürchtet den grünen Ministerpräsidenten nichtBild: picture-alliance/dpa/F. Kästle

Der Kommunist und Kirchgänger

Kretschmann ist der Inbegriff des Bürgerlichen. Der katholische Kirchgänger und Chorsänger ist seit 40 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet, geht gerne wandern und brauchte zu keinem Zeitpunkt seiner Politikkarriere einen Imageberater. Seine Reden sind eher mäßig in Ausdruck und Struktur, doch immer authentisch. Sprachlich etwas behäbig und schwerfällig und manchmal etwas knurrig, wirkt Kretschmann außerhalb Baden-Württembergs mitunter etwas lustig-komisch. Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Zuhause aber ist der ehemalige Lehrer (Chemie, Biologie, Ethik), der gerne auch seine Belesenheit in Interviews und Reden einstreut, ein Original.

Was mitunter ziemlich spießig daher kommt, ist in Wirklichkeit seine Glaubwürdigkeit und Redlichkeit, betonen die, die ihm nahe stehen. Kaum zu glauben, dass der heute 67-Jährige mal ein echter Bürgerschreck war. Als Student bekannte er sich zum Kommunismus. Aus diesem Lebensabschnitt macht er kein Hehl. "War ein fundamentaler Irrtum", meint er heute.

Pragmatisch bis es weh tut

Für Kretschmanns Erfolg im Land der besonders Fleißigen gibt es nicht nur eine Erklärung. Zum einen ist er kein linker Grüner. Klassische grüne Ideologie war für ihn als Ministerpräsidenten nur solange gut, solange damit politische Kompromisse zu schmieden waren. In der Asylpolitik kündigte er 2014 den Konsens seiner Partei auf und votierte als einziges Bundesland mit grüner Regierungsbeteiligung für eine Änderung. Sein Pragmatismus übersteigt bei vielen Parteifreunden oft die Schmerzgrenze. Auch bei der Frage schnellerer Abschiebungen ist Kretschmanns Kurs kein grüner. Er sieht sich als Verantwortungsethiker und nennt seine Politik gelegentlich einen pragmatischen Humanismus.

Karneval Verkleidung Politiker Winfried Kretschmann (Foto: Patrick Seeger/dpa (c) picture-alliance/dpa/P. Seeger)
Winfried Superstar: Kretschmann geniesst inzwischen KultstatusBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

In der Flüchtlingspolitik zählt er zu den engsten Verbündeten der Kanzlerin. Er bete täglich für sie, gab er zu Protokoll, damit sie ihren Kurs durchhalte. Und Merkel kann auf den politischen Rivalen bauen: Von allen Parteien in Baden-Württemberg gelten die Grünen als die kompetentesten in Flüchtlingsfragen. Was Kretschmann medienwirksam in den Slogan packte: "Grüne können auch Krise!"

Keine Frage, Winfried Kretschmann bringt gesellschaftliche Gruppen zueinander, die vor ihm nur wenig gemeinsam hatten. Er ist der klassische Präsidial-Ministerpräsident jenseits des Parteiengezänks. In der Bevölkerung genießt er Zustimmungswerte um die 70 Prozent. Könnten die Bürger den Landesvater direkt wählen, er wäre unumstritten.