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Kriegsverbrecherprozesse: Lieber Den Haag oder in der Region?

12. Juli 2007

In Den Haag hat ein neuer Prozess begonnen, diesmal gegen einen bosniakischen Ex-General. Chefanklägerin del Ponte hätte den Fall lieber an ein Gericht vor Ort überwiesen – für das ICTY wird die Zeit langsam knapp.

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Fall Rasim Delić wird in Den Haag verhandeltBild: UN

Diesmal muss sich einer der wenigen muslimischen Angeklagten vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal verantworten: der ehemalige Generalstabschef der bosnisch-muslimischen Armee, Rasim Delic. Im blauen Anzug und mit dunkelroter Krawatte erschien er vergangene Woche zum ersten Mal vor den Haager Richtern. Ja, er sei gesund, sagte er, von ihm aus könne der Prozess beginnen. Dem heute 58-jährigen Delic wird vorgeworfen, für Kriegsverbrechen mitverantwortlich gewesen zu sein, die seine Untergebenen begangen haben. Dabei geht es unter anderem um die Ermordung von mindestens 24 Kroaten in der Nähe des Dorfes Maline im Juni 1993 und Vergewaltigungen im Lager Kamenica im September 1995. Delic hatte sich Anfang 2005 dem Haager Tribunal freiwillig gestellt. Er bezeichnet sich in allen Anklagepunkten als unschuldig.

Den Haag, nicht Sarajewo

Chef-Anklägerin Carla Del Ponte sprach sich allerdings dafür aus, dass der Fall Delic nicht in Den Haag, sondern in Bosnien vor Gericht gebracht wird. Die Anklageschrift sei so kurz, dass der Prozess eher in die Zuständigkeit der örtlichen Justiz falle. Dahinter steckt der Gedanke, dass man minder schwere Fälle lieber an Gerichte in der Region verweist, um sich verstärkt auf die letzten großen Anklagen, die noch ausstehen, zu konzentrieren. Denn 2010 soll das Haager Tribunal, so die Planung, seine Pforten schließen. Prozesse in der Region selbst – statt im fernen Den Haag – hätten noch einen anderen Vorteil, sagt Südosteuropa-Experte Franz-Lothar Altman von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung ist einfach intensiver, wenn so ein Prozess im eigenen Land passiert. Die Ereignisse werden dann auch von Zeitungen besser kommentiert." Del Pontes Antrag, den Delic-Prozess an ein bosnisches Gericht zu übergeben, haben die Haager Richter jedoch abgelehnt. Das, so die Begründung, würde nur zu Verzögerungen führen, die nicht im Interesse der Justiz seien.

Nationale Justiz immer mehr gefragt

Dabei wäre eine Überweisung in die Region längst kein Präzedenzfall mehr: In den letzten Jahren haben Prozesse in Kroatien, Serbien und Bosnien gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher begonnen. Mit relativ gutem Erfolg, sagt Franz-Lothar Altmann: "Ich denke, dass Unterschiede insofern bestehen, als Kroatien durch die EU-Verhandlungen unter stärkerem Druck steht. Das heißt, die Beobachtung ist hier noch direkter und zeitlich näher, weil Kroatien ja mit aller Gewalt danach strebt, 2009 aufgenommen zu werden." Bei Serbien und Bosnien sei diese zeitliche Perspektive noch ein bisschen weiter. Und auch die Schulung der Richter scheine dort langsamer voranzugehen. "Vor allem in Serbien sieht es so aus – das ist die Kritik, die man immer wieder hört – dass die Gerichtsbarkeit doch noch viele Mängel aufweist", so Altmann.

Spektakulärste Fälle stehen noch aus

Für Den Haag ist das auf jeden Fall die Zukunftsvision, um sich auf die spektakulären Fälle zu stürzen: Zwei wichtige Angeklagte – nämlich der einstige bosnische Serben-Führer Radovan Karadzic und sein General Ratko Mladic – sind immer noch flüchtig. Carla Del Ponte bemüht sich schon seit Jahren um eine Überstellung der beiden, vor allem bei der Regierung in Belgrad. Was Mladic angeht, schien die Festnahme auch mehrere Male kurz bevor zu stehen – doch dann kam stets die Ernüchterung. Mittlerweile wettert die Chef-Anklägerin fast ebenso scharf gegen die internationale Gemeinschaft, die ihrer Meinung nach viel zu wenig tut, um die Gesuchten zu fassen: "Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat die Staatengemeinschaft ihr Interesse an der Suche nach Mladic und Karadzic verloren."

Klaus Dahmann
DW-RADIO, 9.7.2007, Fokus Ost-Südost