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Krise der Informationen

Michael Hartlep11. Juni 2014

Im Krieg scheint die Wahrheit immer zuerst zu sterben. Das lässt sich dieser Tage wieder besonders gut in der Ukraine beobachten. In dem Land ist eine objektive Berichterstattung nur schwer zu finden.

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Vitali Klitschko auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew (Foto: ITAR-TASS / Maxim Nikitin)
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, in einem Meer von ReporternBild: picture-alliance/dpa

Im Park der ostukrainischen Stadt Luhansk liegen Metallsplitter. Rebellenchef Wasili Nikitin blickt mit einem Journalisten auf den Boden und begutachtet sie. Die Splitter seien ganz in der Nähe bei einem blutverschmierten Auto gefunden worden, sagt Nikitin. Für ihn ist dies der Beweis dafür, dass die ukrainische Armee bei ihrem Kampf gegen die Separatisten Streubomben einsetzt. Acht Menschen seien getötet worden, sagt er.

Die nationalen Fernsehstationen berichten eine andere Version. Die Separatisten hätten eine Rakete auf ein ukrainisches Flugzeug abgefeuert. Dabei hätten sie das von Rebellen besetzte Gebäude der Regionalverwaltung getroffen. Ein Unfall also. Für Rodion Miroschnik ist das pure Propaganda. Er ist Journalist in Luhansk und berichtet seit 25 Jahren für das Regionalfernsehen Luhansk Oblast TV.

Fernsehsender in Privatbesitz

Ein Panzer der ukrainischen Armee an einer eroberten Rebellen-Barrikade bei Slowjansk (Foto: dpa)
Ein Panzer der ukrainischen Armee an einer eroberten Rebellen-Barrikade bei SlowjanskBild: picture-alliance/dpa

"Das war eine Lüge! Aber das ist inzwischen normal hier in der Ukraine", sagt Miroschnik empört. Tatsächlich ist es schwierig geworden, in der Ukraine an eindeutige Informationen heran zu kommen. Der größte Nachrichtensender 5 Kanal TV gehört dem Milliardär Petro Poroschenko, der vor kurzem zum Präsidenten gewählt wurde. Und auch andere landesweite Programme befinden sich in Privatbesitz.

Viele dieser Sender berichteten einseitig, von den Rebellen komme keiner zu Wort, beklagt sich Miroschnik. Auch seine Vorgesetzten in Kiew versuchten, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen. "Sie geben uns vor, wie wir über die Ereignisse in der Ukraine berichten sollen. Die Kämpfer in unserer Region sollen wir 'Separatisten' oder 'Terroristen' nennen. Und nicht 'Freiheitskämpfer'".

Unbeliebte Korrespondenten

Trotzdem bekomme er keine negativen Kommentare von Bürgern zu seiner Berichterstattung - im Gegensatz zu den Korrespondenten der nationalen Sender: "Die Leute schreien sie an und schlagen sie auch manchmal." Manche Sender müssten deshalb ihre Korrespondenten sogar abziehen, sagt Miroschnik. "Das ist natürlich nicht richtig, aber ein Resultat der Propaganda, die sie senden. Die Leute sehen, dass es nicht stimmt."

Checkpoint in der Nähe von Semyonovka (Foto: Andrey Stenin/RIA Novosti)
Zwei Separatisten bewachen einen Checkpoint unweit von SlowjanskBild: picture-alliance/dpa

Was stimmt, was nicht? Liydia Huzhva würde diese Frage anders beantworten. Eigentlich ist sie Regisseurin, doch seit der Revolution berichtet sie als "Streamer" vom Maidan, der Krim und dem Osten der Ukraine. Dort filmt sie mit einer kleinen Kamera, die Aufnahmen werden ungeschnitten und live ins Internet gestreamt. Für ihr Engagement bekommt sie kein Geld, sondern arbeitet ehrenamtlich.

Journalismus-Aktivisten

Momentan begleitet sie eine Einheit der ukrainischen Armee und berichtet live von Schusswechseln und Gefechten. Das sei zwar lebensgefährlich, aber ein Dienst für ihr Vaterland, die Ukraine, sagt sie. "Ich habe das Gefühl, ich muss etwas für mein Land tun. Und ich bin nicht mutig genug zum Schießen. Ich bin auch keine Ärztin. Also mache ich das, was ich am besten kann: schreiben und berichten."

Dass sie dabei Partei ergreift für die Seite der Regierung in Kiew, stört Huzhva nicht. "Wir sind wie Fox News. Ich habe meine Meinung und ich sage sie auch. Ich behaupte nicht, dass es die Wahrheit ist." Propaganda finde man aber vor allem in russischen Medien. Erst vor kurzem hätten sie ein Foto eines toten Jungen präsentiert, angeblich ein Opfer der Regierungsangriffe. In Wirklichkeit stamme das Bild aber aus Syrien und sei zwei Jahre alt.

Propaganda

Eine Frau auf dem Maidan mit einer Tageszeitung (Foto: Vitaliy Belousov/RIA Novosti)
Nicht auf alle Informationen in der Tageszeitung ist VerlassBild: picture-alliance/dpa

Ähnlich sei das bei den Bildern der Krimtataren, die bei der Volksabstimmung über den Status der Krim nach Angaben russischer Medien vor den Wahllokalen Schlange standen. Für Huzhva ist das reine Propaganda: "Ich war dort und habe berichtet. Es gab eine Gruppe von 30 Tataren. Die Russen wurden von einem Wahllokal zum nächsten geschickt, um zu zeigen, dass die Tataren die Wahl unterstützen."

Seit der Revolution auf dem Maidan sei die Berichterstattung näher an die Wahrheit gerückt, sagt Huzhva noch. Aber was heißt das schon in einem gespaltenen Land wie der Ukraine? Wenn es um die Deutung von Ereignissen geht, ist die Grenze zwischen Legitimierung und Diskreditierung einer Sichtweise ein schmaler Grat. Der Krieg der Information hat die ukrainischen Journalisten auf beiden Seiten fest im Griff.