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Interview Sven Giegold

21. Mai 2010

Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, Wirtschaftswissenschaftler und Attac-Gründer fordert eine koordinierte EU-Wirtschaftspolitik. Eine Steuer auf Finanztransaktionen sieht er als wichtigen Schritt.

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Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen (Foto: Sven Giegold)
Bild: privat

DW-WORLD.DE: Damals vor 12 Jahren hat die Idee einer Finanztransaktion Steuer als visionär und auch als etwas verrückt gegolten. Heute finden sie Politiker von linksaußen bis rechtskonservativ ziemlich gut. Empfinden Sie als Gründungsmitglied von Attac Genugtuung?

Sven Giegold: Ach, ehrlich gesagt bin ich vor allem beunruhigt über die Lage des Finanzsystems und auch des Zustands der europäischen Integration. Für Genugtuung bleibt nicht viel Zeit, ehrlich gesagt.

Aber sie sind schon dafür, dass man jetzt endlich vorankommt mit dieser Finanztransaktionsteuer?

Ja, auf jeden Fall. Es ist höchste Zeit, insbesondere wegen der hohen Kosten, die die Finanzkrise allen Bürger jetzt aufbürdet. Und es wird dringend Zeit, dass die Finanzmarktakteure auch für die Kosten aufkommen, die sie verursacht haben.

Aber da kommt der kleine Sparer ja auch für auf. Denn seine Transaktionen würden dann ja auch besteuert.

Sehen Sie, mir kommen wirklich die Tränen. Ich sehe so richtig meine Eltern vor mir, wie sie täglich spekulierend Massen an Finanztransaktionsabgaben leisten müssen. Also mal im Ernst: Das normale mittelständische oder kleine Unternehmen und der normale Sparer tätigt keine relevante Anzahl von Finanztransaktionen. Es trifft die also auch nicht, wenn dort eine kleine Abgabe gemacht wird. Wenn man aber jeden Tag mit großen Summen Geld etwa auf den Zusammenbruch des Euro spekuliert, dann trifft einen das.

Aber ein hockriskantes Geschäft wird trotzdem damit nicht verhindert.

Nein, das ist auch nicht der Sinn der Sache. Bestimmte Transaktionen werden damit so verteuert, dass sie unrentabel werden. Dadurch werden die Mengen von liquidem Kapital dadurch geringer und die Finanzmärkte insgesamt mehr auf Langfristigkeit gepolt. Das ist der Sinn der Sache. Aber natürlich wollten wir auch nie die Finanzmärkte als Ganzes sozusagen kaputt machen. Finanzmärkte braucht es für jede vernünftige Volkswirtschaft. Nur in einer vernünftigen Größe. Und das, was wir derzeit haben, kehrt eigentlich die Verhältnisse auf den Kopf, weil inzwischen die Finanzmärkte bestimmen, was passiert und nicht mehr eine dienende Funktion haben. Und das soll sich damit ändern.

Noch ist sich die EU ja nicht einig. Es wird zwar darüber debattiert, aber man weiß nicht, was dabei herauskommt. Glauben sie, dass diese Debatte um eine Transaktionssteuer nur eine Eintagsfliege ist? Oder wird sie nachhaltig wirken?

Ich glaube, irgendeine Abgabe wird jetzt dabei herauskommen. Das ganze Dilemma ist, dass wir von der Bundesregierung einfach nicht erfahren, für welche Form von Finanzmarktbesteuerung sie eigentlich ist. Die FDP hat lange alles abgelehnt, die CDU war ursprünglich für eine Finanztransaktionssteuer. Dann war sie wieder nicht dafür. Durch den Druck der CSU ist sie jetzt doch wieder dafür. Dann ist unklar, ob es international oder europäisch sein soll. Natürlich wäre am Besten, das alles global zu machen. Da aber bestimmte Länder da nicht mitmachen werden, kommt es jetzt auf die Frage an: Bekommen wir in Europa eine vernünftige Finanztransaktionsteuer oder nicht? Und ob die Bundesregierung dafür streiten wird, erfahren wir immer noch nicht. Ehrlich gesagt finde ich das angesichts der Kosten dieses Hin und Her und diese Täuscherei mit verschiedenen Begriffen skandalös.

Aber immerhin ist man sich in Europa ja schon mal einig, was die Hedgefonds angeht. Sie sollen zwar besser kontrolliert werden, aber reicht das aus, um Spekulanten abzuschrecken?

Also, zunächst mal ist man sich in Europa überhaupt nicht einig. Sondern der Rat hat jetzt auch beschlossen, dass die Hedgefonds in Zukunft registriert und beaufsichtigt werden sollen. Aber man hat sich praktisch rausgehalten, festzulegen, welche Regeln da gelten sollen. Das Parlament sagt dagegen, wir wollen nicht nur so eine Art Registrierungspflicht sondern wir möchten, dass tatsächlich das Maß der Verschuldung der Hedgefonds begrenzt wird. Und das ist ein ganz entscheidender Punkt: Wenn Hedgefonds praktisch hier vertrieben werden, also wenn man als Europäer Anteile etwa in einer Steueroase kauft, dann müssen die Regeln der Fonds dort den europäischen Regeln entsprechen. Davon will der Rat aber überhaupt nichts wissen. Und da kommen noch sehr interessante Verhandlungen auf uns zu. Und wir wollen als Parlament, und das über die Grenzen der verschiedenen Fraktionen hinweg, strenge Regeln für die Hedgefonds und nicht nur eine Registrierungspflicht.

Jetzt geht man also gegen Hedgefonds vor, gegen Spekulanten. Aber nützt das denn alles was, wenn die einzelnen Regierungen der Länder ihre Haushalte nicht in Ordnung halten und sich hoch verschulden?

Also natürlich. Nur muss man mit der Diskussion vorsichtig sein. Wenn ich etwas gegen einen Mörder mache, heißt das natürlich nicht, dass ich gleichzeitig den Diebstahl bekämpft habe. Das heißt, das Finanzsystem ist komplex. Es gibt nicht eine Allzweckwaffe sondern man muss sich wirklich die verschiedenen Bereiche anschauen und vernünftige und effiziente Regeln vorschlagen. Und klar ist: Das Maß der Verschuldung, und zwar sowohl die öffentliche als auch die private Verschuldung, hat den Grad des tragbaren eindeutig überschritten und wir brauchen eine glaubhafte Konsolidierung. Und diese Konsolidierung muss eigentlich so gemacht werden, dass man nicht gleichzeitig die Realwirtschaft damit wieder in das Tal der Tränen schickt.

Also sind das zwei Bereiche. Einmal muss man die Haushalte konsolidieren und zum Anderen Regeln für die Finanzmärkte erlassen?

Genau. Es gibt noch einen dritten wichtigen Bereich. Und das lernen wir auch auf dieser Krise. Europa hat eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Dazu gehört die Regulierung der Finanzmärkte. Aber dazu gehören eben auch Basisregeln für gemeinsame Steuern, eine Koordinierung der Haushaltspolitik und insbesondere ein Ende der Überschüsse und Defizite. Es geht nicht, dass einzelne Länder enorm expansiv Exporte betreiben, wie wir das in Deutschland tun. Und umgekehrt Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wie in Südeuropa und exzessiv ihre Kosten steigern. Wir brauchen da mehr Zusammenarbeit und Koordinierung.

Also mehr Zusammenarbeit, wie das ja jetzt zwangsweise der Fall ist?

Richtig. Nur es hilft ja nicht, Brände nur zu löschen, wir müssen uns auch mit den Brandursachen beschäftigen. Eine der zentralen Ergebnisse der letzten Zuspitzung der Krise ist für jeden jetzt sichtbar: Es war richtig, dass wir gerade im Europawahlkampf sehr stark gefordert haben, die gemeinsame europäische Wirtschaft auch mit einer gemeinsamen europäischen Sozialpolitik zusammenzuführen. Und eine Wirtschaftsunion braucht auch vernünftig kooperierende und effizient gemeinsame Wirtschaftspolitik betreibende Mitgliedsländer. Sonst wird das immer wieder in großen Krisen enden, die teuer für alle sind.

Aber sie glauben nicht wirklich, dass die nationalen Parlamente sich wirklich dazu durchringen werden?

Doch, ich glaube das. Ich glaube, dass die Notwendigkeit in dieser Richtung so groß ist, dass die Schritte jetzt kommen werden. Das sieht man z. B. bei dem Vorschlag von Kommissar Rehn, dass die Haushalte, die auf nationaler Ebene beschlossen werden, vorab zur Prüfung nach Brüssel sollen. Da gibt es jetzt sehr viel Zustimmung auch aus Deutschland. Deutschland hat das traditionell immer blockiert und blockiert es in wichtigen Fällen immer noch. Aber z. B. in diesem wichtigen Bereich, wo jetzt Kommissar Rehn vernünftige Vorschläge gemacht hat, gibt sogar die zaudernde Bundesregierung grünes Licht. Und man sollte da immer Hoffnung haben. Europa ist aus Krisen immer gestärkter hervorgegangen. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch diesmal so wird.

Das Interview führte Cordula Denninghoff
Redation: Fabian Schmidt